Bahnhofsmusik, Ausritt mit Atlanta, Abneigung gegen Weltwunder und ein Flug nach Valletta – Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis

Es sind Begegnungen sehr verschiedener Art, die in den insgesamt fünf aktuellen Angeboten dieser Ausgabe geschildert werden, die wie immer eine Woche lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 25.10.19 – Freitag, 1.11.19) zu haben sind – Begegnungen mit Menschen und mit Landschaften, Städten, Seen und Wäldern und von Bauwerken und dann auch dort wieder mit Menschen. Diese Begegnungen machen neugierig, neugierig auf das Leben der anderen Menschen und darauf, was von diesen Zusammentreffen bleibt. Werden sie in Verbindung bleiben, entwickelt sich vielleicht sogar mehr daraus, oder werden sie sich wieder trennen? Und selbst wenn sie sich trennen, was wird in Erinnerung bleiben? Fragen wie diese bieten nicht zuletzt eine gute Gelegenheit, sich an die vielen Begegnungen im eigenen Leben zu erinnern: Wie waren sie zustande gekommen? Wie waren sie abgelaufen? Was ist aus ihnen geworden? Und was davon bleibt in Erinnerung?

Die Liebesgeschichte von Kurt und Felicitas erzählt Steffen Mohr in „Am Anfang dieser Reise“.

Über die Begegnung von Evelyn und Borstel und über manch anderes Abenteuer berichtet Gerhard Dallmann in „Die Sommerkinder von Ralswiek“.

In der Mark Brandenburg war Uwe Berger unterwegs. In „Backsteintor und Spreewaldkahn“ berichtet er über seine Erfahrungen und Begegnungen.

Außerdem bringt dieser Newsletter am Schluss ein Sonderangebot zum Super-Sonderpreis von 99 Cents. Worum es sich dabei handelt, das ist am Ende dieser Ausgabe zu erfahren. Und auch in diesem Buch geht es um zum Teil sehr ungewöhnliche Begegnungen, die durch einen geheimnisvollen Brief ausgelöst werden. Aber wie gesagt, mehr dazu am Ende dieser Ausgabe. Sie können aber jetzt schon mal überlegen, was Sie eigentlich alles über Malta und speziell über Valletta wissen …

Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Und da hat die Literatur schon immer ein gewichtiges Wort mitzureden und heute erst recht. Leider bleibt auch das Thema Krieg und Kriegsgefahr weiter aktuell. Deshalb ist es auch heute noch notwendig, sich an die furchtbaren Folgen vor allem des Zweiten Weltkrieges zu erinnern und daran, wieviel Leid er bei den Menschen ausgelöst hat, nicht zuletzt bei Millionen von Zivilisten, vor allem Frauen und Kindern. Aber zugleich soll auch an die große Solidarität mit den Opfern erinnert werden – auf deutscher Seite.

Erstmals 2006 veröffentlichte Herbert Remmel im Eigenverlag sein Buch „Von Köln nach Ballinlough. Eine deutsch-irische Nachkriegskindheit“, drei Jahre später folgte die Ausgabe in englischer Sprache: Nahezu über Nacht gelangte der neunjährige Kölner Herbert Remmel aus seiner total zerbombten und hungernden Heimatstadt in das von Neonlichtern glitzernde Dublin mit seinen überquellenden Geschäften, seinen unzerstörten Häusern und seinem prallem Leben. Das Irische Rote Kreuz hatte 1946 die Kinderhilfsaktion „Operation Shamrock“ ins Leben gerufen, in deren Ergebnis der junge Kölner das Glück hatte, von einer Dubliner Familie für kurze Zeit aufgenommen zu werden, während der er die irische Hauptstadt nahezu wie seine Hosentasche kennenlernte. Zwei Jahre jedoch verbrachte er auf einer kleinen Farm im Westen der Insel fernab von städtischer Zivilisation ohne elektrischen Strom und fließendes Wasser. Hier wurde er als German boy schnell integriert, ging zur Schule, spielte Irish football, kutschierte mit Pferd und Esel, ging mit seinem Farmer ins Moor Torf stechen, half bei der Heu- und Kartoffelernte und war zum Fair Day auf dem Viehmarkt. Kurzum: er war so sehr in dieses kleine Milieu irischer Bauern integriert, dass ein Wissenschaftler der Universität Cork seinem Essay über diesen Deutschen den Titel „The half-Irish Herbert Remmel“ gab. Über seine irische Biografie hat der Autor 2006 ein Büchlein geschrieben, das zum 70. Jahrestag der Operation Shamrock in der zweiten Auflage erschien. 2009 war das ins Englische übersetzte Buch in Irland ein großer Erfolg. Die „IrishTimes“ schrieb: „Das Buch ist ein so wertvoller Schatz von Details des ländlichen irischen Lebens, dass man sich wünschte, mehr Deutsche kämen zu uns, um über uns zu schreiben.“ Dem irischen Teil seiner Biografie vorangesetzt hat der Autor seine Kindheit im Kriege bis zu dessen Ende, das er in der Evakuierung in Sachsen-Anhalt erlebte. Hier ein Ausschnitt, in dem sich Herbert Remmel daran erinnert, wie für ihn ganz persönlich die „Operation Shamrock“ begann:

Kurs Irland

Dann endlich war der Tag gekommen, es dürfte etwa der 24. oder 25. Juli 1946 gewesen sein: Wir stehen frühmorgens auf dem Kölner Neumarkt vor dem notdürftig zusammengeflickten Gebäude des Sozialamtes, das noch heute dort sein Domizil hat. Ein Knäuel von Menschen, vornehmlich Mütter mit ihren Kindern. Am Straßenrand parken plattschnäuzige Militärlastwagen der Briten, englische Soldaten mit ihren lustigen bunten Baretts. Eine Autoritätsperson brüllt: „Verabschieden Sie sich, die Kinder müssen aufsitzen!“ Herzzerreißende Szenen: Kinder klammem sich an Mütter, Mütter wollen ihre Kinder nicht loslassen, Weinen, Schluchzen. Die Soldaten haben die Heckklappen ihrer Fahrzeuge heruntergelassen. „Go on!“ Kinder werden hoch gehoben, andere treten auf die in die Klappe eingelassenen Fußbleche und klettern hoch. Auf der Ladefläche will keiner nach vorne rücken. Kinderhände greifen nach unten, suchen Mutters Hand, Mütter drängen vor, suchen nach Kindeshand. Weinen, Schluchzen. „Please Mam, go back, please Mam, zuruck, zurück“, rufen die Soldaten. Ich bin dran, trete in das Fußblech, ein Tommy hat seine Hand an meinem Hintern und schiebt: „Go on, go on!“ Ich ziehe mich hoch, werfe noch einen Blick an der LKW-Plane vorbei über den Neumarkt, über die Schildergasse, über die Hohe Straße hinweg zum Dom. Ich glaube, das Hauptportal zu erkennen! Mein Gott, so platt gebombt ist Kölns Innenstadt, dass ich vom Neumarkt aus das Domportal sehen kann. Ming ärm Kölle! Ich erwische nochmals Mutters Hand, Paps Hand. „Maach et jood, Jong, maach et jood!“

Wir fahren, fahren, fahren. Ich sitze gleich an der Heckklappe, Straßenstaub wird in das Innere der Ladefläche gesaugt, es knirscht zwischen den Zähnen. Es ist mucksmäuschenstill auf dem LKW, kein Weinen mehr, kein Schluchzen, niemand spricht, gespenstisch.

Wir sind in Düsseldorf, werden in irgendeiner Villa abgeladen, große Räume, viele englische Soldaten und deutsche Rot-Kreuz-Schwestern. Dem Alter nach aufstellen, heißt es. Ich bin vorne, mit eines der ältesten Kinder, wir sind inzwischen wieder gut drauf. Eine Krankenschwester kommt auf uns zu, in der Hand kleine Stofflappen, an ihrer Seite einer der englischen Soldaten. Die Schwester macht sich an uns zu schaffen, heftet mit Sicherheitsnadeln die Stoffläppchen sichtbar an unsere Kleidung: weiße Punkte auf blauem Grund. „So“, sagt sie, „ihr mit den weiß-blauen Läppchen seid eine Gruppe und der Soldat hier, der wird auf euch aufpassen und – ihr gehorcht. Habt ihr das verstanden?“ Haben wir! „Okay, okay“, sagt der Soldat und lacht uns an, „okay, okay“. Da hat der seinen Namen weg: „Okay“ Wir sind etwa zehn bis zwölf Bengels zwischen acht und zehn Jahren in unserer Gruppe, und wir sind die ältesten der etwa 60 Kinder, die sich hier eingefunden haben. Die meisten kommen wohl aus Aachen, Düren und dem Ruhrgebiet, aus Städten, die einschließlich ihrer Vororte nur noch aus Trümmern bestehen. Die uns betreuenden englischen Soldaten sind offensichtlich aus dem Sanitätsdienst, deren Demobilisierung in die Heimat man mit der Begleitung unseres Kindertransports verbunden hat.

Mitten in der Nacht, wir haben auf Tischen und Bänken und auf dem Fußboden recht und schlecht geschlafen, heißt es aufstehen. Wieder auf Lastwagen, es geht zum Bahnhof. Dort ein Zug mit angehängten Wehrmachts-Lazarettwagen, Hoheitszeichen übermalt. Okay führt uns hinein, ausziehen, Betten belegen, ab geht’s. Es ist schon hell, wir fahren in einen Bahnhof ein, unser Zug bleibt stehen. Auf dem Bahnsteig viele Menschen, vornehmlich Männer, die wohl zur Arbeit wollen. Wir sind irgendwo in Holland, in Frankreich? Die draußen bekommen wohl mit, dass wir Deutsche sind – Spucke klebt an den Fensterscheiben, Gejohle und Fäusteschütteln. Okay öffnet die Waggontür, schimpft wie ein Rohrspatz, gestikuliert mit der Faust, Zug fährt los. Okay kommt zurück, Daumen nach oben, lacht: „Okay, okay.“

Und wieder hält der Zug. Okay kommt. „Get up, get up!“ Wir getten up, steigen aus: Blendende Sonne, klare Luft, starke kühle Brise, eigenartiger Geruch. Blicken in Richtung Lokomotive. Et Meer!, et Meer!, schreit es. Langer Kai, Schiffe, richtige Schiffe, nicht solche Äppelkähne wie auf dem Rhein, dahinter Wasser, Wasser und nochmals Wasser. Wir alle haben noch nie das Meer gesehen, hier ist es, wenn es auch nur der Kanal ist. Wir sind in Calais! Okay kommt, diesmal bepackt mit Sack und Säckchen. „Weit and blu comon!“´ Und damit zu ausführlicheren Vorstellungen der anderen Sonderangebote dieses Newsletters:

Erstmals 1975 erschien im Union Verlag Berlin „Am Anfang dieser Reise. Eine Liebesgeschichte“ von Steffen Mohr: In dieser Liebesgeschichte geht es um Menschen, die in unserer nächsten Umgebung wohnen könnten. Sind sie aber wirklich bei uns zu Hause? – Da ist Kurt Voland, der 26-jährige erfolgreiche Bauingenieur. Viele Freunde glaubt er zu besitzen, an jedem Finger ein Mädchen haben zu können. Auf einmal muss er erkennen, dass Freundschaft und Liebe nicht Dinge sind, die man wie eine Prämie für gute Arbeit erwerben und wieder vertun kann. Die Liebe zu der Musikstudentin Felicitas macht ihm bewusst, dass er längst nicht zu Hause, sondern immer noch auf der Reise ist zu einem wirklichen Zuhause. Auch die 19-jährige Felicitas ist nach ihrem Bruch mit der kleinstädtisch engen Kirchgemeinde, in der sie aufwuchs, auf der Suche nach einer neuen Gemeinschaft. Ihre Seminargruppe an der Musikhochschule ist erst auf dem Wege zum Kollektiv. Das Untermietverhältnis bei der Wirtin bietet ihr kein Daheim. Kann die stille Stadtkirche, in der sie allein ist mit ihrem Gott, die Sehnsucht nach Menschen ersetzen? In der Beziehung zu Kurt wird sie lernen, dass man selbst etwas dafür tun muss, um beim Nächsten anzukommen. Doch gerade, als sie Kurt für diese Lehre danken will, sich deshalb umso stärker zu ihm hingezogen fühlt, fallen Schatten auf ihre Liebe: Kurt ist kein Mensch ohne Fehler …

Die Frage, ob zwei junge katholische Menschen in der DDR zu Hause sein können, stellt hier ein Autor, der vieles selbst miterlebt hat. Steffen Mohr, Jahrgang 1942, hatte mit dieser Liebesgeschichte von 1975 seine erste größere Arbeit vorgelegt. Hier der Anfang seines Buches, wo wir zunächst Felicitas begegnen – unterwegs:

„Das verlorene Zuhause

Im Licht des späten Nachmittags, das durch große, rußverklebte Scheiben in die Bahnhofshalle einfloss, hatten die Geräusche der Maschinen und die Stimmen der Menschen einen dumpfen und weichen Charakter. Den Kopf an das stumpfgrüne Polster gelehnt, sah Felicitas mit halb geschlossenen Augen auf die leere Sitzbank ihr gegenüber. Sie lauschte mit einem stillen inneren Vergnügen auf das, was sie für sich die Bahnhofsmusik nannte: Unverständliche Rufe. Gellendes Pfeifen. Schlagen eines Hammers auf Stahlfedern. Durchdringendes Zischen eines gerade einfahrenden Zuges. Das verworrene Kauderwelsch einer Lautsprecheransage. Und der niemals abreißende Strom hastiger Schritte auf den Bahnsteigen.

Der Zug ruckte an. Die Fenster klirrten leise. Ein weiterer Ruck folgte. Und noch einer von der Art, als gehörten diese von einer kräftigen Maschine gezogenen zehn Wagen zum Leib eines einzigen Riesentieres, das sich noch nicht recht entschloss, ob es sich bewegen oder weiterhin träge ausruhen sollte. Dann glitten die Wagen unter dem Hallendach heraus.

Nun fiel Helligkeit in ihr Abteil. Über den immer rascher vorbeifliegenden Häusern und Türmen und den dunklen, weiß gesprenkelten Hängen, die rings die Stadt umschlossen, sah sie die Sonne. Der Zug fuhr über einen zwischen den Häusern aufgeworfenen Damm hinweg. Felicitas erblickte unter sich die Menschen in den Straßen. Unbekannte, kleine Wesen, auf der Heimkehr vom Sonntagsspaziergang oder auf dem Weg zu einem der Tanzlokale. Junge Mädchen wie sie selbst, frisch frisiert und toupiert, im Hinterperron einer Straßenbahn zusammengedrängt. Dick angezogene alte Männer mit Ohrenschützern unter den Pelzmützen in ihren kleinen Gärten am Bahndamm. Sie nutzten die letzten Tagesstrahlen zum Schneeschippen auf den schmalen Wegen. Kinder, Schlittschuhe über die Schulter gehängt, trudelten heimwärts.

Ein plötzlich aufkommendes Gefühl der Freude, der Lust zu leben und der Dankbarkeit, leben zu dürfen, erfüllte sie. Allen diesen kleinen, eiligen oder geruhsam sonntäglich beschäftigten Menschen hätte sie jetzt zurufen und sie umarmen wollen oder ihnen zumindest ein Lächeln schicken. Weit vorn am Bahndamm winkten drei Kinder. Da stand Felicitas auf. Schnell kurbelte sie die Scheibe herunter und hielt ihr Gesicht hinaus. Das schwarze Haar flatterte im Fahrtwind, eine lange, seidige Strähne legte der Wind ihr ins Gesicht. Sie machte sich keine Mühe, sie fortzuschieben, laut und lang gezogen rief sie hinaus: „Halloooh!“ Und winkte so lange, bis sie die heftig ihr Winken erwidernden Kinder nur noch als winzige Punkte erkennen konnte.

Fröstelnd schickte sie sich an, das Fenster wieder zu schließen. Da öffnete die Schaffnerin die Tür des Abteils: jung, so alt wie sie selbst etwa. Sie hatte ein großes, rundes Gesicht. Das volle blondierte Haar hatte sie an einer Seite straff unter ihr Käppi geschoben, das mit zwei großen Klemmen schräg auf dem Haar befestigt war. Geräuschvoll schob sie die Tür hinter sich zu und ließ eine dunkle, schwere Kastentasche auf den der Tür zunächst befindlichen Platz aufplumpsen. Sie war breiter und kräftiger gebaut als Felicitas, und sie sah zuerst auf das noch zu einem Schlitz geöffnete Fenster und dann auf Felicitas. Ihr Blick sagte deutlich: Wir heizen den Zug nicht umsonst! Sie blieb neben dem Sitz, auf den sie den Kasten hatte fallen lassen, stehen und wartete in herausfordernder Haltung, bis Felicitas die Scheibe vollständig geschlossen hatte. Dann erst setzte sie sich und zog ihre Tasche mit einer unwilligen Bewegung dicht an sich heran.

Obwohl sie es sich nicht anmerken ließ, wurde Felicitas durch den taxierenden Blick der Schaffnerin unsicher. Wie weggeblasen war die Fröhlichkeit, die sie soeben erfüllt hatte. Eine Weile noch sah sie vorsichtig zu der Blonden hinüber. Die aber schien ihre Anwesenheit nun gar nicht mehr zu beachten. Da wandte Felicitas das Gesicht von ihr ab und sah wieder aus dem Fenster.

Der vorwurfsvolle Blick eben hatte sie an die Augen der Mutter erinnert. Wo sie sich an diesem Wochenende begegnet waren, im Wohnzimmer oder oben, an der Tür zu ihrem Zimmer, in der Küche oder als sie sich gegenübersaßen bei den Vorbereitungen zum Mittagessen, am Nachmittag und abends beim gewohnheitsmäßigen Gutenachtkuss oder früh, wenn die eine aus dem Bad kam und die andere schon vor der Tür des Badezimmers wartete, immer war eine Mischung von mitleidigem Verstehen und lauerndem Unverständnis in Mutters Blick gewesen. Felicitas hatte mit ihr, abgesehen von diesem kurzen Gegeneinanderschreien und Aneinandervorbeireden, kaum ein Wort gesprochen. Sie hatte versucht, ihr aus dem Weg zu gehen. Das war schwierig in dem kleinen Häuschen. So trafen sie sich doch ständig unerwartet im Flur, an einer Tür, dann blieb die kleine Frau stehen, wo sie gerade stand. Die Tür in ihrem Rücken hielt sie offen, mit einer verlegenen Geste der Hand: Willst du herein? Willst du vorbei? Radiomusik leierte hinter dem Rücken der Frau aus dem Zimmer, und Felicitas sah sie nicht an beim schnellen Vorbeigehen, spürte hinter sich noch den Vorwurf in ihrem Blick.“

Erstmals 1980 veröffentlichte Gerhard Dallmann in der Evangelischen Verlagsanstalt Berlin „Die Sommerkinder von Ralswiek“: Evelyn und Borstel, die beiden wribbligen Kinder-Jugendlichen, sind zuerst verzankt, dann aber bald auf gemeinsame Abenteuer aus. Evelyn liebt ihr Pferd Atlanta, sie ist eine tüchtige Reiterin. Borstel, sehr nachdenklich, liebt die Vogelwelt. Eine gefahrvolle Kletterpartie am Steilufer auf der Suche nach den Uferschwalben hat ihre Folgen. Dann ist da noch der liebe alte Opa Wedemeier, der Herr Büchner mit seinen Studenten, da ist die in dauernder Angst schwebende Tante Doris Stirnbach. Die tolle Sache mit der Höhle und der Riesenfledermaus ist genauso schrecklich spannend wie das Gniedeln. Wisst Ihr, was Gniedeln ist? Psst! Heimlichkeit! Der Ort, wo die beiden ihre Streiche spielen, ist die Stätte der heutigen Störtebeker-Festspiele auf der Insel Rügen. Wenn Ihr die Geschichte von Evelyn und Borstel gelesen habt, werdet ihr dort alles sehen können: Das Schloss, die drei Schwarzpappeln, die Kirche, die Höhle, das heute leider abgebrannte Hexenhaus und die Försterei Augustenhof. Das Buch ist spannend bis zum letzten Satz. Zum Einlesen hier der Anfang des zweiten Kapitels, in dem Reiterin Evelyn nach einem Verrückten sucht, aber zunächst nur Herrn Büchner begegnet, der sich offenbar verletzt hat:

„Doch zum Dösen fand er keine Ruhe. Er musste an die Arbeit denken und daran, dass sie heute noch so viel schaffen wollten. Aber er? Mit schmerzenden Knochen? Er wird seinen Leuten berichten müssen – alles, haarklein. Und wie er sich dumm benommen hatte. Und sie werden ihn heimlich auslachen – ihn, ihren Chef.

So zankte er mit sich selbst herum, als er von links her ein Geräusch vernahm, ein Stampfen und Brechen. Es knackte im Röhricht, als wenn sich ein Nashorn durchs Gesträuch wühlt. Nanu? Ein Pferdekopf? Wahrhaftig, ein ganzes Pferd! Und sogar mit einem Reiter. Sonderbar! Hier ein Reiter?

Mühsam richtete er sich auf. Das Pferd warf erschrocken den Kopf hoch und schnaubte. Es blieb stehen, spitzte die Ohren und machte große Augen. Der Reiter, ein Mädchen, schien nicht weniger verwundert, hier einen Menschen zu finden. Es zog die Zügel an, beugte sich vor und klopfte beruhigend den Hals des Tieres: „Still, Atlanta! Ist ja gut, sei ruhig, sei brav!“ Und zu Büchner: „Entschuldigen Sie, wir wollten nicht stören.“

„Da ist nichts zu entschuldigen, Fräulein. Sie stören nicht, ich liege hier bloß so – bloß so. Übrigens, wenn Sie weiter reiten wollen, da hinten ist der Weg zu Ende. Da kommen Sie nicht voran.“

„Wir brauchen keinen Weg. Atlanta geht durch dick und dünn.“

Das Mädchen sah vom Pferd auf Büchner herab, ein bisschen forschend, ein bisschen fragend, ein bisschen verwundert, weil er so sonderbar auf dem Boden kauerte.

Schließlich fragte sie: „Liegen Sie schon lange hier?“

„Ich? Wieso? Lange? Warum?“

„Ich frage nur so, bloß so.“ Aber sie sah ihn weiter durchdringend an.

„Na bitte, was fragen Sie!“ Büchner zuckte die Achseln, als wollte er sagen: Na und? Doch bei dieser Bewegung verzerrte sich sein Gesicht, denn der Schmerz schoss ihm wie verrückt in die Schulter. Rasch drückte er mit der Hand darauf, als könnte das helfen.

„Ich will’s nur wissen, weil …“ Sie sah ihn unentwegt an, immer so von oben herab, unterbrach sich und fragte: „Tut Ihnen was weh?“

„Nein – ja – nein – ach was!“ Was sollte er mit der kleinen Dame darüber sprechen …

„Ich dachte, weil Sie so daliegen und sich die Schulter halten.“

„Das ist nicht schlimm, kleines Fräulein, wirklich nicht. Danke für die Fürsorge. Aber machen Sie sich keine Gedanken!“

Das Mädchen schien beruhigt. Es fragte: „War eben ein Junge hier? So einer mit kurzen, blonden Haaren?“

„Ja“, bestätigte Büchner und zog in Erinnerung an ihn ein Gesicht wie ein Igel, der Essig trinkt. „So einer war hier, einer mit struppigkurzen, blonden Haaren. Wieso?“

„Der ist“ – das Mädchen zeigte über die Schulter nach hinten -, „der ist da eben an mir vorbeigeprescht wie ein Verrückter. Wie ein Verrückter!“, betonte sie noch einmal.

„So so, wie ein Verrückter.“

„Ja, als wäre jemand hinter ihm her, Polizei oder so.“

„Kannten Sie den Bengel, den verflixten?“

„Sie können ruhig du zu mir sagen. Ich bin erst dreizehn. Nee, ich kannte ihn nicht. Ich bin ja erst drei Tage hier. Sie müssen nämlich wissen, ich wohne hier gar nicht.“

„Sie sind – äh, du bist hier zu Besuch? Schulferien, was?“

„Ja, bei meinem Onkel. Ich soll hier die Atlanta ausreiten. Was war denn mit dem Jungen?“

Büchner blickte mit schiefer Wendung seines Kopfes zu den Schwalbenlöchern hoch. Dann schnitt er mit kurzer Handbewegung die Frage ab: „Dummerjungenstreich.“

Er wollte sich erheben. Ihm gefiel das nicht, so von oben herab, und dann noch von einem halben Kind, angeredet zu werden. Das gab ihm das Gefühl, als sei er selber ein kleiner Junge.

Leicht aber fiel ihm das Aufstehen nicht. Sein Bein hatte doch einen mächtigen Schlag bekommen und tat beim Auftreten entsetzlich weh.

Die Reiterin musste das bemerkt haben. Sie stieg aus dem Sattel, ließ sich zu Boden gleiten, fasste den Zügel kurz am Halfter und legte ihren Kopf zart gegen den Hals des Tieres. „Als er an mir vorbeihetzte“, so erzählte sie ungeniert dem fremden Mann, „schrie er mich nämlich an: ‚Geh nicht weiter, du! Dahinten ist ein Verrückter!‘ Und dann war er weg! Weg – verschwunden.“

„So …“

„Sind Sie ein Verrückter? Sie sind doch kein Verrückter!“

Büchner lächelte: „Das weiß ich nicht. Das müssen andere entscheiden. Es kommt ganz drauf an, wem du mehr glaubst, dem Jungen oder dem Eindruck, den du von mir hast.“

„Eher schien mir der Junge verrückt zu sein. Wie der davon raste! Als ob ein Hornissenschwarm hinter ihm her wäre. Was war denn?“

„Verlangst du die ganze Geschichte von mir? Ich denke, du wolltest reiten?“ Büchner wies den von zerspellten Bäumen zugesperrten Uferweg entlang.“

Erstmals 1975 erschien im Aufbau-Verlag Berlin und Weimar „Backsteintor und Spreewaldkahn. Märkische Landschaften“ von Uwe Berger: In seinen literarischen Miniaturen erzählt der Autor von Städten, Seen und Wäldern der Mark Brandenburg, von den Bewohnern und ihrer Historie, beschreibt die Gegenwart und blickt in die Zukunft. In seiner verhaltenen Art schildert er Landschaften und Charaktere im Sinne des Mottos, das er der Sammlung voranstellt: „Am Ende ist es doch so, dass das Stückchen Erde, auf dem ich hier stehe, und der Raum, der sich heut über mir wölbt, so unerhört sind wie alles Ferne, Vergangene und Zukünftige.“ Indem der Autor mit eigenwilligen und wachen Augen sieht, Anteil am Lebendigen nimmt, wo er es findet, setzt er eine Tradition fort, die mit dem Namen Theodor Fontane verbunden ist. Hier drei Beispiele für die noch immer lesenswerten literarischen Miniaturen von Uwe Berger:

„Ein Weltwunder

Das Schiffshebewerk Niederfinow ist eine Art Weltwunder. Zu der Zeit, als es gebaut wurde, in den Jahren 1927 bis 1934, war es das größte seiner Art. Wir sehen es schon von Weitem wie eine abgebrochene Stahlbrücke am Oder-Havel-Kanal stehen, und zwar dort, wo das Urstromtal zum Nieder-Oderbruch hin abfällt.

Widerwillig, da ich etwas gegen Weltwunder habe, betrachte ich mir das Ding aus der Nähe. Hier werden Schiffe nicht geschleust, sondern samt einem Wasserbecken gehoben oder gesenkt. Das unmäßige Gewicht wird durch Gegengewichte von Beton ausgeglichen. Der elektrisch betriebene Fahrstuhl hängt an zweieinhalbhundert Drahtseilen.

Ein Schubschiff aus Minden in der BRD mit grell orangefarbenen Aufbauten gleitet unten in den Trog, wie das Becken in der Fachsprache heißt. Hinter dem Kahn senken sich fast geräuschlos zwei Schleusentore, eines den Kanal und eines den Trog abschließend. Ich sehe niemand, der die unheimliche Technik lenkt. Die Schiffer rühren sich nicht in ihrem Gehäuse.

Plötzlich ist eine Frau in blauer Montur da. Ruhig steigt sie eine Stahltreppe hinunter und legt die ihr zugeworfenen Trossen um kurze Dalben. Sie wirkt auf mich im Gewirr der grau gestrichenen Stahlmasten, Träger und Verstrebungen wie eine Erscheinung. Alles ist auf einmal freundlicher, menschlicher, vertrauter.

Nun poltern auch noch zwei Männer von irgendwoher herbei. Eilig und geschäftig stochern sie mit einem Enterhaken im Wasser herum. Was ist los? Sie ziehen einen armlangen Fisch aus der Tiefe und verschwinden wieder. Offenbar sind es Facharbeiter, die sich mit dem Legen von Trossen nicht abgeben.

Langsam hebt sich der Trog mit dem Schiff. Ich stehe am vorderen Ende des Troges und habe den schrecklichen Eindruck, als höbe sich dieser mir schräg entgegen. Aber das Wasser steht waagerecht zur Trogkante.

Anneli tippt mir auf die Schulter und fordert mich auf, nach oben zu steigen. Wir müssen sechsunddreißig Meter hoch klettern. Ein wenig keuchend kommen wir im Oberhafen an. Der Wind pfeift uns um die Ohren. Soeben fährt der Mindener Kahn heraus, zwei Polen warten. Hafenatmosphäre. Aber da ich Häfen wie Emden, Stralsund und Leningrad kenne, hat dieser „Hafen" etwas Absurdes für mich. Er schwebt auf einer Stahlbrücke. Zwischen den Ritzen der Bohlen flimmern unter unseren Füßen die Bäume des Hanges.

Jetzt fährt eines der polnischen Schiffe in den Trog. Ein Schiffer springt über, grüßt die Schleusenwächter mit einem Tippen an die Mütze und macht selber fest. Es ist anders als bei dem Orangelackkahn. Schon versinkt das Ganze. Gute Fahrt.

Ich bekomme Hochachtung vor dem Nutzen des Weltwunders.

Wir klappern auf den Bohlen zum Ostende des Schiffshebewerks und blicken in den Nieder-Oderbruch, in die Niederung der Alten Oder bei Oderberg und Hohensaaten. Die Hügel, Kuppen und Hänge bleiben im Nordwesten zurück. Einzelne Häuser, kleine Baumgruppen und Wasserläufe in ebenem Land bestimmen das Bild.

Am Werbellinsee

In Eichhorst passieren wir den Werbellinkanal, einen Stichkanal, der den Werbellinsee mit dem Oder-Havel-Kanal verbindet. Der Werbellinkanal dient nicht der großen Schifffahrt, er ist schmal und die Schleuse in Eichhorst nicht größer als für den Ausflugsverkehr nötig.

Hinter der Schleuse beginnt eine Landschaft mit besonderem Charakter, die Schorfheide. Der Nördliche Landrücken reicht bis hierher, bis in den südlichen Zipfel der Uckermark. Bodenwellen. Mischwald. Im Wald verstreut ein paar Häuser. Es ist einsamer als in vielen anderen abgeschiedenen Gegenden der Mark.

Rechts von unserem Weg blinkt jetzt das Wasser des Werbellinsees durch die noch schwach belaubten Bäume. Links von uns sehen wir ebenfalls Wasser. Es ist ein kleiner Teich, der Fliegner Teich, in einem Bruch, der wohl ehemals See war. Hinter der sumpfigen, verlandenden Zone steigt das Gelände an.

Hierherum ist Naturschutzgebiet.

Aber außer Schilf und einem Verbotsschild finde ich nichts, nicht einmal einen Vogel sehe ich. Abseits von irgendeinem Weg will ich nicht weiter vordringen. Ein Pfad in die bewaldeten Hügel hinauf endet vor einem überhohen Zaun und ebenfalls einem Schild, das das Jagen verbietet. Nun, ich gehe nur mit dem Fernglas auf Jagd. Mein Interesse findet jedoch weiter keine Nahrung, und ich kehre um. Im Zentrum der Schorfheide, im Naturschutzgebiet Kleine Pinnowseen, soll es noch einige der letzten Biber geben.

An der Straße hat sich inzwischen ein anderes Auto neben das unsere gestellt. Großstadtangler sind herausgekrochen und bewegen sich mit ihren Ruten über ein Wiesenstück zum Ufer des Werbellinsees. Ich denke: Verbotsschilder haben wohl doch auch ihr Gutes …

Wir verlassen die Stätte und fahren nach Norden.

Vom hohen Hügelufer blicken wir an einer offenen Stelle auf den Werbellin. Männer in Motorbooten setzen große gelbe Bälle aus. Bräunlich schimmerndes Wasser, das vom Wind geraut wird, erstreckt sich imponierend breit und weit. Die Krümmung des Sees verhindert die Sicht über dessen ganze Länge. Ringsum wölben sich waldbewachsene Ufer auf.

Ich gehe zum Wasser hinunter. Von Nahem ist es sehr klar, hellteefarben. Kleine Wellen plätschern und gluckern auf den Sand.

Tor in Gransee

Was sieht man von einer Stadt, wenn man durch sie hindurchfährt? Es kann etwas Nebensächliches, es kann etwas Wesentliches sein. Man selbst kann aufmerksam oder unaufmerksam sein. Das hängt nicht von der Länge der Zeit ab.

Eine breite und helle Straße führt uns nach Gransee hinein. Alte ländliche Häuser und Neubauten mit Fernsehantennen reihen sich aneinander. Das massive und in seiner Schwere doch zierliche Ruppiner Tor wächst uns entgegen. Echte Backsteingotik. Im stabilen Unterbau befindet sich der Torbogen, das zweite Stockwerk ist durch reliefartige Spitzbogen aufgelockert, und das dritte streckt sich wie Filigran nach oben. Auf der Straße vor den niedrigen Häuschen ein Radfahrer, eine alte Frau.

Das Tor ragt — nicht nur im wörtlichen Sinn, auch an Schönheit — über seine Umgebung empor. Ich muss an Fontane denken, der über den weiland Granseer Kircheninspektor Ernst Germershausen schrieb, um einen Kopf größer sein sei an und für sich schon ein Verbrechen, und es zeigen ein doppeltes. Begeht das Tor ein Verbrechen?

Kaum.

Aber es beweist, dass man nicht nach Rom oder London reisen muss, um Außergewöhnliches zu sehen. Freilich, Germershausen gaben Lissabon, Florenz und Rom Weisheit, doch Gransee nur Amt und Würden, wie es in seiner Grabschrift vom 6. Dezember 1732 heißt, und Fontane selbst „sah“ erst die Mark, nachdem er sich in London und anderswo umgetan hatte …“

Und damit sind wir bei dem im Vorspann angekündigten Sonderangebot zum Super-Sonderpreis von nur 99 Cents angekommen: Erstmals 2012 war im Projekte Verlag Cornelius Halle ein Wirtschaftsthriller von Ingo Kochta erschienen – damals noch unter dem Titel „AMAS Mdina“. Vor wenigen Wochen brachte die EDITION digital das Buch in einer leicht überarbeiteten Fassung und unter dem veränderten Titel „Erbe ohne Todesfall“ neu heraus: Ivo Tacht lebt beschaulich in geordneten Verhältnissen auf dem Lande in der Nähe von Leipzig. Ein Brief eines Anwalts aus Malta lässt ihn zu einer Reise ins Ungewisse aufbrechen. Er übernimmt die Führung der AMAS, einer Firma, die sich äußerlich mit Kunsthandel befasst, und taucht in eine ihm bis dahin unbekannte Welt ein, die beherrscht wird von Macht und Intrigen. Bald begreift er, dass in den Archiven der AMAS keine normalen Kunstgegenstände verwahrt werden. Neben wertvollen Artefakten lagern in den Stahlkammern düsterste Geheimnisse der Vergangenheit. Die Mystik Maltas zieht ihn magisch in ihren Bann und setzt in ihm bisher unbekannte geistige Kräfte frei. Gelingt es ihm gemeinsam mit seinen Freunden und Kollegen, die feindliche Übernahme der AMAS zu verhindern? Können sie seine Freundin aus den Fängen geheimnisvoller Entführer befreien? Gibt es das mysteriöse Templerschloss? Sind seine neu entdeckten mentalen Kräfte ein Fluch oder ein Segen? Einen guten Einstieg in die Handlung bietet das folgende dritte Kapitel des Wirtschaftsthrillers, in dem Ivo Tracht nach Malta reist und schon bei seiner Ankunft in Valletta Ungewöhnliches erlebt:

„Der ICE stürmte durch den Norden Sachsen-Anhalts, Richtung Berlin. Kiefern bestimmten zunehmend das Bild. Ivo ließ die beruhigenden Impressionen auf sich wirken. Die immense Anspannung der letzten Tage saß noch immer tief in ihm. Er hatte gehofft, dass es nachlassen würde, wenn alles auf der Reihe war. Doch der Abstand war noch zu kurz. Es gab kein großes Abschiednehmen. Nur Max und zu seiner Überraschung auch Angela waren da. Den letzten Abend verbrachten sie zusammen in Leipzig und er hatte bei Max übernachtet. Der Zug fuhr sehr zeitig. Enttäuscht war er von Gabi. Nicht einmal seine Einladung zum Essen hatte sie angenommen.

Im Vorbeifahren tauchten die Außenbezirke Berlins auf. Es wurde Zeit, sich zum Aussteigen fertig zu machen. Einchecken, Abfertigung, das übliche Ritual. Der öffentliche Bereich lag hinter ihm. Das Ganze war recht stressfrei verlaufen. Die Enge und der Trubel des Airports hatten Ivo veranlasst, sehr früh in den Sicherheitsbereich zu wechseln.

Die Maschine befand sich im Steigflug und Berlin lag unter ihm. Er erkannte die ehemaligen Wahrzeichen Ostberlins und war fasziniert von der einmaligen Perspektive. Der Flieger zog eine weite Schleife und nahm Kurs Richtung Süden. Die Route führte über Süddeutschland und die Alpen. Von oben erschienen die idyllischen Bergdörfer noch unberührter.

Seine Mutter, eine begnadete Konzertpianistin, hatte ihm von den unvergleichlichen Eindrücken ihrer Flugreisen erzählt. Immer wieder schwärmte sie davon, wie herrlich es über den Wolken sei. Sie wollten später zusammen Reisen unternehmen. Doch die Zeit und ihre angegriffene Gesundheit ließen diese Träume Träume bleiben. Die Auslandsgastspiele seiner Mutter dauerten mitunter mehrere Wochen. Wenn sie länger als eine Woche unterwegs war, packte Ivo seinen großen Koffer und reiste für diese Zeit in den Harz. Dort gab es ein Internat, wo die Kinder privilegierter Eltern bei deren Abwesenheit untergebracht wurden und zur Schule gingen. Ivo liebte diese Harzreisen. Verwandte, bei denen er hätte bleiben können, hatten die Tachts nicht und sein Vater lebte nicht mehr. Ivo glaubte, sich zu erinnern, dass seine Mutter auch schon auf Malta war. Doch genau wusste er es nicht. Er bewunderte ihre Musikalität sehr. Ihre Auftritte im Ausland hatten bald das Besondere für ihn verloren. Es reichte ihm, stolz auf das zu sein, was seine Mutter mit ihrer Musik bei vielen Menschen bewirkte. Er besaß diese Gabe nicht. Als Ivo im Teenageralter war, versuchte sie noch einmal, sein Herz für klassische Musik zu öffnen. Bald sah sie ein, dass Led Zeppelin, Deep Purple und einheimische Rockgruppen auch Musik machten. Es war lange her, dass er sich so intensiv an Details erinnerte. Ein wenig Wehmut machte sich Platz in seinem Herzen.

Die Beziehung zu seinem Vater war ein schwieriges Problem. Als Chemieanlagenmonteur war er viel unterwegs. Eigentlich war er Sachverständiger. Aber so genau konnte sich Ivo nicht erinnern, da es schon viele Jahre her war, dass sein Vater verunglückte. Wenn er da war, versuchten sie, so viel Zeit wie möglich miteinander zu verbringen. Durch die Erziehung seiner Mutter, die musisch veranlagt war, hatte er als Junge wenig Interesse an handwerklichen Sachen, Basteln oder Angeln. Als er älter wurde, stellte er fest, dass kleine Reparaturen nicht nur Geld sparten, sondern auch Spaß machten. Nun verstand er seinen Vater besser. Oft hatte es Streit gegeben, wenn er da war. Schlimm wurde es, als seine Mutter erkrankte und es fraglich war, ob sie je wieder Klavier spielen könnte. Zu dieser Zeit wurde ein neues Heilverfahren für derartige Leiden in der damaligen CSSR erprobt. Als anerkannte Pianistin erhielt sie die Möglichkeit, eine der Ersten zu sein, die behandelt wurden. Das Verfahren war so erfolgreich, dass die Gelenkerkrankung völlig geheilt werden konnte …

Ein Gong entriss Ivo seinen Erinnerungen. Die Hälfte des Fluges lag hinter ihm und er genoss einen Kaffee. Wieder befiel ihn diese Ungewissheit, was ihn auf Malta erwarten würde. Er hatte sein verstaubtes Englisch aufgefrischt und für alle Fälle sein altes Schulwörterbuch mitgenommen. Es lag noch gut eine Stunde Flug vor ihm. Ivo döste ein.

„In wenigen Minuten erreichen wir unser Reiseziel Malta.“

Er legte den Gurt an und nahm noch einen Kaugummi, um den Druck auf die Ohren zu lindern. Obwohl noch früh am Morgen, schlug ihm beim Verlassen des Flugzeuges die Hitze wie eine glühende Faust entgegen. Ivo sog alles wie ein Schwamm auf und war vom ersten Moment an begeistert. Schon beim Anflug auf Malta hatte er ein Gefühl der Geborgenheit empfunden, ohne zu wissen, wieso. Unter ihm die Silhouette Vallettas. Die im rechten Winkel verlaufenden Straßen und die flimmernde Luft über der ausgetrockneten Erde kamen ihm vertraut vor. War es überhaupt möglich, etwas zu mögen, was man noch nie gesehen hatte und nicht kannte? Es war mysteriös und faszinierte ihn gleichzeitig.

Das Flughafengebäude war neu, modern und gut klimatisiert. Die Abfertigung lief in mediterraner Gelassenheit ab. Ivo hoffte inständig, dass der Transfer klappte. Als er sein Gepäck hatte und den Abfertigungsbereich verließ, stand er einer Menschentraube gegenüber. Er versuchte erst einmal, einen Überblick zu bekommen. Unter den vielen Schildern mit Namen, die hochgehalten wurden, suchte er seinen. Ein Herr trat an ihn heran und stellte sich als sein Fahrer vor. Der mittelgroße, untersetzte Mann nahm das Gepäck und strebte einem Seitenausgang zu. Er verstaute alles und weiter ging es ins Ungewisse. Abgesehen von der linken Straßenseite war der Verkehr chaotisch bis anarchistisch. Hupe, Bremse, Gas und viel Theater bestimmten das Geschehen. Ivo genoss das Panorama und ließ sich von der bizarren Schönheit Maltas noch mehr gefangen nehmen. Der Fahrer redete und redete. Ivo hörte kaum hin. Ein gelber, zweigeschossiger Bau erhob sich vor ihnen. „Sundown Court“, eine schicke Hotelanlage.

„Wir am Ziel.“ Das Gepäck wurde bereits hereingetragen.

„Moment bitte, Sie werden sofort bezahlt.“

„No, no alles okay. No money, alles okay.“

„Aber ich …“

„Alles okay – Order from Major.“

„Ich verstehe nicht?“

„Major sagt, letter an Rezeption. Goodbye – good day.“

Verwundert sah Ivo zu, wie das Auto langsam davonfuhr. Er schaute sich noch etwas um, als ein Hotelangestellter auf ihn zukam und ihn freundlich begrüßte. Der Manager führte ihn persönlich durch die Anlage und sie plauderten bei einem Tee.

„Sie sprechen sehr gut deutsch.“

„Ja, ich habe in Dresden Gastronomie studiert und dann anschließend zwei Jahre in Interhotels gearbeitet.“

„Begrüßen Sie alle Gäste persönlich?“

„Nein, sicherlich nicht. Sie sind ein spezieller Gast. Der Major hat Sie avisiert.“

„Wer ist der Major? Ich höre den Namen zum zweiten Mal.“

„Sie kennen sich nicht?“

„Nein, ich habe keine Ahnung.“

„Nun gut. Für Sie sind Briefe an der Rezeption, die Ihnen sicherlich Aufklärung bringen. Ich kann nur so viel sagen, dass der Major eine bekannte Person auf Malta ist. Wenn er für einen Gast buchen lässt, was bei uns erstmals der Fall war, bekommt der Gast den entsprechenden Service.“

„Was macht dieser Major?“

„Mr. McMahon, der Major, unterhält eine bekannte Kanzlei. Sein Leumund ist tadellos. Mir ist nicht bekannt, dass es je Skandale oder Probleme gegeben hätte.“

„Ich bedanke mich für die Auskunft. Ich werde erst einmal sehen, was für mich hinterlegt wurde.“

„Kein Problem. Sie sind natürlich mein persönlicher Gast. Ihre Getränke gehen aufs Haus.“´

Mit diesem doch recht ungewöhnlichen Empfang für den speziellen Gast fangen die ungewöhnlichen Abenteuer für Ivo Tacht aus Leipzig erst an, der im Verlaufe der weiteren Handlung noch viele andere Überraschungen erleben wird. Und sich gewissermaßen nebenbei in Malta verliebt …

Aber auch die anderen Sonderangebote dieses Newsletters sind eine Begegnung wert. Was hat Herbert Remmel in Irland erlebt? Und wie ist sein Leben nach seiner Rückkehr nach Deutschland verlaufen? Wie geht die Liebesgeschichte von Kurt und Felicitas weiter? Geht sie überhaupt weiter? Was wird aus Evelyn und Borstel? Und was hat Uwe Berger in der Mark Brandenburg noch alles gesehen?

Viel Spaß beim Lesen, weiter einen schönen, möglichst goldenen Herbst und bis demnächst.

Über die EDITION digital Pekrul & Sohn GbR

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