Am Anfang war die Zeichnung. Formen und Funktionen seit der Renaissance

Die Geschichte der Kunst beginnt mit der Zeichnung. Zugleich ist eine Skizze der erste sichtbare Ausdruck einer künstlerischen Idee. Die meisten Zeichnungen wurden nicht als eigenständige Kunstwerke geschaffen, sondern dienten der Konzeption und Umsetzung eines übergeordneten Werkes. Erst in der Renaissance etabliert sich die Zeichnung auch als eigenständiges Medium.

Die Ausstellung „Am Anfang war die Zeichnung“ (1. April bis 28. Juni 2020) stellt verschiedene Formen und Funktionen von Zeichnungen vor. Darunter viele Werke, die noch nie oder lange nicht zu sehen waren.

Im Rahmen der Ausstellung „Am Anfang war die Zeichnung“ werden einzelne Werke aus der Sammlung der Kunsthalle Bremen erstmals der Öffentlichkeit präsentiert, darunter zwei Werke bedeutender italienischer Künstler des Barock: Ein Skizzenblatt mit „Vier Putten in Wolken“ (spätestens 1663) von Giovanni Francesco Barbieri, genannt Il Guercino und die Naturstudie „Arme mit gefalteten Händen“ von Annibale Carracci.

Andere Werke konnten auf Grund der Recherchen rund um die Ausstellung endlich einem Künstler zugeordnet werden. So entpuppte sich ein bisher unter den anonymen französischen Zeichnungen einsortierter, aufwändig aquarellierter Architektenplan als Werk von der Hand des russischitalienischen Star-Architekten Karl Iwanowitsch Rossi (1775–1849). Zu sehen ist das Twerer Schloss, das Rossi im Auftrag des Zaren Alexander I. 1809 umgestaltete.

Nach über 70 Jahren wird ein Entwurf (um 1898/1900) von Paula Modersohn-Becker für ein Schokoladen-Sammelbild des norddeutschen Lebensmittelunternehmens Stollwerck erstmals wieder gezeigt. Die Illustration war einer von mehreren Entwürfen, die Modersohn-Becker für zwei von Stollwerck ausgeschriebene Wettbewerbe für Sammelbilder schuf. Der Schokoladenfabrikant erhoffte sich durch die Einführung der Sammelbilder größere Verkaufszahlen. Das ausgestellte Aquarell von Paula entstand also für einen gewerblichen Zweck.

Neben Paula Modersohn-Becker ist mit Angelika Kauffmann eine weitere prominente Malerin in der Ausstellung vertreten. Weitere weibliche Positionen werden bewusst gezeigt, obwohl sich diese nicht immer nahtlos einfügen. Ein Grund dafür ist, dass es sehr viel weniger Künstlerinnen als Künstler gab und auch der Bremer Bestand vom 16. bis 18. Jahrhundert hier entsprechend klein ist. Ein anderer Grund ist, dass die Frauen bis ins 20. Jahrhundert hinein meist nicht die gleiche professionelle Ausbildung erhielten wie ihre männlichen Künstlerkollegen. Luise Kugler, eine Bremer Künstlerin des 19. Jahrhunderts, ist mit einer botanischen Studie vertreten. Barbara Regina Dietzsch, eine erfolgreiche Malerin des 18. Jahrhunderts, mit einem Silberfasan auf Pergament, und die Niederländerin Maria van der Kloedt ist einzig über ihre Signatur auf der hier ausgestellten Landschaftsskizze überhaupt als Künstlerin nachweisbar.

In der Ausstellung wird der Formfindungsprozess einer Bildidee von der Skizze über die Studie zur direkten Vorzeichnung nachvollziehbar gemacht. Anschaulich wird das am Beispiel des Gemäldes „Die Kindheit des Zeus“ von Lovis Corinth: Das Bremer Kupferstichkabinett ist im Besitz von fünf Zeichnungen und einer Ölskizze, die der Künstler in Vorbereitung des Gemäldes anfertigte.

Erst in der Renaissance etabliert sich die Zeichnung auch als eigenständiges Medium. Sofern sie nicht eigenständig waren, hatten sie in verschiedenen Bereichen eine vorbereitende Funktion. Die Ausstellung zeigt verschiedene Aufgabenbereiche der Zeichnung, darunter eine Buchzeichnung, ein Architektenplan, ein Bühnenbildentwurf sowie direkte Vorzeichnungen für eine Radierung und einen Animationsfilm.

Werkanzahl, Künstler und Künstlerinnen

Die Schau präsentiert prominente wie auch zahlreiche unpublizierte Meisterzeichnungen aus dem Bestand des Kupferstichkabinetts. Insgesamt sind in den beiden Studiensälen 55 Originale versammelt vom 15. bis 20. Jahrhundert. Darunter befinden sich neben Zeichnungen auf Papier auch drei Arbeiten auf Pergament, zwei Gemälde, eine Statuette, ein Skizzenbuch, eine Radierung und ein Film. Die Werke stammen unter anderem von Albrecht Dürer, Annibale Carracci, Lovis Corinth, Eugène Delacroix, Oskar Fischinger, Il Guercino, Angelika Kauffmann, Maria van der Kloedt, Norbert Kricke, Max Liebermann, Aristide Maillol, Paula Modersohn-Becker und Karl Iwanowitsch Rossi.

Kuratorin

Es ist die erste Ausstellung von Dr. Christine Demele, die seit Mai 2019 Kustodin in der Kunsthalle Bremen ist und im Kupferstichkabinett für den Bereich Zeichnungen und Druckgraphik 15. bis 18. Jahrhundert zuständig ist. Christine Demele ist Expertin für Handzeichnungen und hat an verschiedenen Bestandskatalogen für graphische Sammlungen mitgearbeitet. Für die wissenschaftliche Bearbeitung der italienischen Zeichnungen aus Goethes graphischer Sammlung in Weimar erhielt sie 2007 den Dr.-Heinrich-Weber-Preis. Ihre Dissertation über Dürer-Zeichnungen wurde 2013 mit dem renommierten Wolfgang-Ratjen-Preis am Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München ausgezeichnet.

Die Ausstellung wird gefördert durch die Bremer Landesbank-Stiftung und die Ernst von Siemens Kunststiftung.

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