Meeresspiegelanstieg: Stabilitäts-Check der Antarktis offenbart enorme Risiken

Je wärmer es wird, desto rascher verliert die Antarktis an Eis – und viel davon wohl für immer. Die Folgen für die weltweit an Küsten gelegenen Städte und das Kulturerbe könnten langfristig verheerend sein, von London bis Mumbai, von New York bis Shanghai. Dies hat ein Team des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, der Columbia University und der Universität Potsdam in einer jetzt in Nature als Titelgeschichte veröffentlichten Studie herausgefunden. Darin untersuchen sie die Stabilität des Antarktischen Eisschilds bei fortschreitender globaler Erwärmung. In rund einer Million Stunden Computerrechenzeit zeigen ihre beispiellos detaillierten Simulationen, wo genau und bei welcher Erwärmung der Eisschild instabil wird und große Teile schließlich schmelzen oder in den Ozean abrutschen würden. Dabei zeigt sich ein komplexes Zusammenspiel beschleunigender und moderierender Effekte. Die wichtigste Erkenntnis der Forscher ist, dass ein ungebremster Klimawandel gravierende langfristige Folgen haben wird: Bei anhaltenden Temperaturen von 4 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau könnte allein das Schmelzen in der Antarktis zu einem globalen Meeresspiegelanstieg von mehr als sechs Metern führen.

„Das Eis der Antarktis speichert mehr als die Hälfte des Süßwassers der Erde, gefroren in einer fast 5 Kilometer dicken Eisschicht“, erklärt Ricarda Winkelmann, Forscherin am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und Leitautorin der Studie. „Wenn sich das umgebende Meerwasser und die Atmosphäre durch den Treibhausgas-Ausstoß des Menschen erwärmen, wird die weiße Kappe am Südpol instabil. Aufgrund ihrer schieren Größe hat die Antarktis ein erhebliches Potenzial, den Meeresspiegel weltweit langfristig anzuheben: Wir stellen fest, dass bereits bei einer anhaltenden Erwärmung von 2 Grad Celsius das Abschmelzen und der beschleunigte Eisabfluss in den Ozean letztlich zu einem Anstieg des globalen Meeresspiegels um 2,5 Meter führen würde. Bei 4 Grad beträgt er langfristig 6,5 Meter, und bei 6 Grad fast 12 Meter.“

Langfristiger Eisverlust: nicht schnell, aber für immer

Der Titel der Studie bezieht sich auf das komplexe physikalische Phänomen der Hysterese, mit dem eine Unumkehrbarkeit des Eisverlusts einhergeht. Anders Levermann, Ko-Autor und Forscher am PIK und an der Columbia-Universität: „Die Antarktis ist im Grunde unser ultimatives Erbe aus vergangenen Zeiten der Erdgeschichte. Der Kontinent ist seit mehr als 34 Millionen Jahren von Eis bedeckt. Nun zeigen unsere Simulationen, dass das Eis, wenn es einmal verloren ist, nicht wieder zurückwächst. Tatsächlich müssten die Temperaturen auf das vorindustrielle Niveau fallen, um den antarktischen Eisschild vollständig wiederherzustellen – ein höchst unwahrscheinliches Szenario. Mit anderen Worten: Was wir jetzt in der Antarktis verlieren, ist für immer verloren.“

Die Gründe für diese Unumkehrbarkeit liegen in den selbstverstärkenden Mechanismen, die bei fortschreitender Erwärmung im Eis angestoßen werden. Ko-Autor Torsten Albrecht erläutert: „In der Westantarktis zum Beispiel ist die Hauptursache für den Eisverlust warmes Ozeanwasser, das zu einem stärkeren Schmelzen unter den Schelfeismassen führt, was wiederum den auf Land aufliegenden Eisschild destabilisieren kann. Dadurch rutschen Gletscher von der Größe Floridas in den Ozean. Sobald in der globalen Mitteltemperatur eine Schwelle von sechs Grad über dem vorindustriellen Niveau erreicht wird, überwiegen das Schmelzen und damit zusammenhängende verstärkende Rückkopplungen an der Eisoberfläche: Sinkt die Eisoberfläche langsam in niedrigere Lagen, führt die wärmere Umgebungsluft zu verstärktem Schmelzen des Eises – so wie wir es bereits auf Grönland beobachten.“

Unser Handeln heute entscheidet über die Zukunft von Hamburg, Tokio, New York

Der Eisverlust und das Abschmelzen in der Antarktis haben sich in den letzten Jahrzehnten deutlich beschleunigt. In der Studie geht es allerdings ausdrücklich nicht um die Zeitskalen, sondern vielmehr darum, die kritischen Temperaturschwellen zu quantifizieren, bei denen Teile des antarktischen Eisschildes instabil werden. Winkelmann erläutert zu diesem Ansatz: „Letztlich ist es das Verfeuern von Kohle und Öl, das die heutigen und zukünftigen Treibhausgasmengen bestimmt – und damit auch, ob und wann kritische Temperaturwerte in der Antarktis überschritten werden. Auch wenn der Eisverlust langfristig passiert, die entsprechende Menge von CO2 in unserer Atmosphäre, die diesen Eisverlust auslöst, könnten wir schon in naher Zukunft erreichen. Unser Handeln heute entscheidet darüber, ob wir die Erwärmung stoppen. Das Schicksal der Antarktis liegt also wirklich in unseren Händen – und damit auch das unserer Städte und unseres Kulturerbes auf der ganzen Welt, von der Copacabana in Rio de Janeiro bis zum Opernhaus in Sydney. Diese Studie ist damit ein weiteres Ausrufezeichen hinter dem Pariser Klima-Abkommen: Wir müssen die globale Erwärmung unter zwei Grad halten!“

Levermann fügt hinzu: „Wenn wir das Pariser Abkommen aufgeben, geben wir Hamburg auf, und Tokio und New York.“

Artikel: Julius Garbe, Torsten Albrecht, Anders Levermann, Jonathan F. Donges, Ricarda Winkelmann (2020): The hysteresis of the Antarctic Ice Sheet. Nature [DOI:10.1038/s41586-020-2727-5]

Weblink zum Artikel nach Veröffentlichung: https://www.nature.com/articles/s41586-020-2727-5

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