Der Sozialismus an sich, Provokation zum Mit-Denken sowie Kunst, Wahrheit, Pflaumen und Würmer – Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis

Diesen heutigen Newsletter könnte man mit einiger Berechtigung auch einen Branstner-Letter bezeichnen, denn vier der insgesamt fünf aktuellen digitalen Sonderangebote, die wie immer eine Woche lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 28.10. 22 – Freitag, 04.11. 22) zu haben sind, stammen von Gerhard Branstner. Er hatte sich immer wieder mit der Heiterkeit und dem gesellschaftlichen Fortschritt und deren wechselseitigem Zusammenhang beschäftigt und in diesem Zusammenhang auch die literarische Figur des Nepomuk erfunden, die in seinen Anekdoten auftaucht, wie in mehreren seiner vielen Büchen nachzulesen ist. Vier davon stehen wie gesagt heute zur Auswahl.

Ich kam und sah und lachte“ präsentiert Balladen, Anekdoten und Aphorismen.

In „Die unmoralische Tugend Nepomuks“ ist eben jener Nepomuk ganz in seinem Element.

Der Narrenspiegel“ stellt gleich sieben Künste vor.

Das System Heiterkeit“ versteht sich als eine Grundlegung.

Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Auch dieses Mal geht es um das Thema Frieden – allerdings aus einer ziemlich ungewöhnlichen und zum Zeitpunkt des erstmaligen Erscheinens dieses Buches bisher noch nie zuvor solcherart beschriebenen Perspektive. Denn bis dahin hatte man sich den Erstkontakt zwischen Menschen und Außerirdischen ganz anders vorgestellt – friedlich:

Erstmals 1986 erschien als Band 199 der Reihe „Spannend erzählt“ im Verlag Neues Leben Berlin „Die Engel in den grünen Kugeln. Wissenschaftlich-phantastischer Roman“ von Alexander Kröger. Dem E-Book liegt die Originalausgabe von 1986 zugrunde. Es wurde lediglich auf neue Rechtschreibung umgestellt:

Dicht presst sich Igor Walrot an den Boden, während ringsum die todbringenden blauen Blitze aufzucken. Etwas Unbegreifliches ist geschehen. Da sind in Nordeuropa fremde Raumschiffe gelandet und überziehen die Erde mit Krieg. Viele meinen, dass es sich bei den Auseinandersetzungen um ein Missverständnis handelt, und wollen die Fremden wie Gäste begrüßen, doch Igor glaubt nicht an die Friedfertigkeit der Besucher aus dem All. Bestärkt wird er in seiner Meinung von Dagmar, jenem dunkelhaarigen Mädchen, das immer in der vordersten Kampflinie zu finden ist. Und so übernimmt er auch den gefährlichen Auftrag, der ihn bis in die Basis der Außerirdischen führt, die seltsamerweise wie Engel aussehen.

Kriege sind zum Zeitpunkt der Handlung auf der Erde Geschichte. Es dauert lange, bis die Menschen wirksamen Widerstand leisten können.

An einem packenden Einzelschicksal schildert Kröger das leidvolle abenteuerliche Geschehen um die Eindringlinge. Und so lernen wir die Hauptfigur kennen, aus deren Sicht alles erzählt wird. Igor ist an der Front – im von ihnen aufgezwungenen Krieg gegen die Außerirdischen:

„1. Kapitel

Ich presste mich in die flache Mulde. Sie sehen meinen Rücken! dachte ich. Meine Hände an den weit ausgebreiteten Armen krallten sich in trockene Moosbüschel.

Ich empfand nicht den Schmerz, den die Sandkörner verursachten, wenn sie sich unter die Fingernägel schoben, bemerkte nicht den krampfigen Druck in Brust und Rücken und wollte in den Boden hineinkriechen. Hartes Kraut stieß ins Gesicht, aber ich veränderte meine Lage nicht. Jede Faser meines Körpers, jede Zelle waren auf den einen Satz eingestellt, der wie ein Schrei durch meinen Kopf jagte: Ich will leben, ich will leben … Und je näher das penetrante Zischgeknatter des blauen Blitzes kam, desto lauter schrie es in mir.

Eine Sekunde erinnerte ich mich des Eingebläuten: Sie schießen blind, harken ein Areal automatisch ab. Du kannst stehen, sitzen, bei dieser Waffe haben sie dich nicht im Visier. Und das allein ist deine Chance: Du musst den Blitz sehen, wenn er kommt. Die Schläge halten eine Linie ein. Wenn diese auf dich zukommt, dann spring. Am besten dorthin, wo es bereits eingeschlagen hat. Die Automatik geht nur vorwärts. Freilich, so ganz genau ist das nicht. Um ein, zwei Meter vor und zurück vertun sie sich manchmal – abhängig von der Geländeoberfläche. Aber keine Angst, es tut nicht weh, egal wo es dich erwischt. Nicht einer hat bisher gelitten. Es trifft dich – und aus! Wenn du nicht vorher schreist, dann kommst du nicht mehr dazu.

Kurz vor meinem Kopf sprang eine Fontäne auf. Trotz der zusammengepressten Lider drang der blaue Schein ins Hirn. Erdreich prasselte nieder. Noch tiefer zuckte mein Gesicht in das stachlige Kraut. Nach zwei Sekunden krachte es erneut, doch zwei Meter links. Dann abermals, schon weiter entfernt.

Da kam ein anderer Gedanke auf, zaghaft noch, drängender, dann mit einer Wucht, die den Körper wie in einem Anfall hochriss. Vorwärts, zwei Meter vorwärts!

Ich warf mich nach vorn, nahm fast die gleiche Lage ein, nur dass ich jetzt die Arme an den Körper presste. Ich schlug mit dem Kopf hart auf, schmeckte Erde im Mund. Langsam zog sich das Brennen abgeschürfter Haut über die linke Gesichtshälfte. Mit diesem Schmerz setzte allmählich logisches Denken ein. Ich horchte auf die Entladungen links von mir. Das trockene Knallen nahm an Lautstärke wieder zu, also die nächste Reihe, die, trat nichts Zufälliges ein, nun hinter mir vorbeigehen musste. Ich winkelte die Arme an, hebelte den Körper nach vorn, noch immer bestrebt, den Bodenkontakt nicht zu verlieren. Dann wurde ich erneut mit Erde überrieselt, und ich roch stechenden Ozon. Der Blitz war in die Mulde gefahren, in der ich vor wenigen Augenblicken gelegen hatte.

Noch fünf, sechs Entladungen folgten zur Rechten, dann trat Ruhe ein. Ich blieb liegen, langsam entkrampfte ich mich. Ich spürte den kalten Schweiß in den Achselhöhlen und wie mir Tränen über die Nasenwurzel rannen. Die linke Wange brannte stärker. Langsam verlagerte ich mein Gewicht auf den linken Ellenbogen, stemmte, setzte mich auf.

„Los, hoch mit euch und zurück, ihr Blödmänner, sie rücken gleich an!“ Der Unteroffizier sprang zehn Meter neben mir aus einer Kuhle, raffte sein Gewehr auf, sprang zurück, verhielt dann doch und beobachtete, wie sein Befehl wirkte.

Ich kam nicht sogleich in den Stand, einige Meter rannte ich auf allen vieren, stolperte dann in die Aufrechte. Das Gewehr schleifte ich, am Lauf gefasst, hinter mir her.

„Sammeln, dort hinter der Baumgruppe“, hörte ich.

Wir hasteten zurück, die gesamte dünne Front auf mehreren Hundert Metern Länge rannte zurück. Hinter und neben mir hörte ich es keuchen. Und zum ersten Mal seit ich als Neuling ganz vorn eingesetzt war, gestand ich mir ein: Tapfer sind wir, bist du, Igor, nicht gerade!

Ich erreichte den Wald, verlangsamte den Lauf, fiel in den Schritt, verhielt ganz und gar, blickte mich um.

Wir hatten fast alle gleichzeitig den dünnen Waldstreifen erreicht, so als gönnte einer dem anderen den Vorsprung nicht, den Vorsprung in eine Scheinsicherheit. Denn wie hieß es in der schnoddrigen Anleitung: Wenn sie ein Gebiet ausgiebig beharkt haben, dann rücken sie beharrlich bis zu dieser Linie vor. Und treffen sie dabei auf keinen Widerstand, dann ist man in dieser Zeit sicher. Bis das Spiel von Neuem beginnt.

Ich hatte mich nicht zu fragen getraut, wo da überhaupt der Sinn liege, dass wir nun gleichsam nackt dem Feind in vorderster Linie entgegenträten, wenn wir dann nach seiner Taktik doch nur vor ihm herliefen. Ich erinnerte mich nicht, dass in diesen zwei Tagen auf unserer Seite auch nur ein Schuss gefallen wäre, aber drei Tote hatte es gegeben. Und ob jetzt alle überlebt hatten?

Ich drang in den lockeren Wald ein. Auf der anderen Seite konnte man bereits wieder einen Kahlschlag sehen. Ich ging noch etliche Schritte, bis ich gewahrte, dass die Kameraden sich zwischen den wie gesät liegenden Steinen lagerten. Da lehnte ich mich gegen eine Birke und starrte durch die Zweige in den Himmel. Was für eine sinnlose Unternehmung! Zweimal hatte ich nun erlebt, wie die vorrückten, zweimal dieses Blitzinferno über mich ergehen lassen, das zweite Mal davongelaufen.

Ich biss die Zähne zusammen, dass die Kaumuskeln schmerzten. Wie der ausgesehen hat! Ich erinnerte mich des toten Kameraden – ich glaube, er hieß Stephan, den es beim ersten Angriff unmittelbar neben mir erwischte. Im Sprung hatte ihn der Blitz getroffen, ihn niedergestreckt, den Körper lang gepeitscht, als schnellte eine gespannte Feder zurück. Er lag und rührte sich nicht mehr. Noch einen kurzen Augenblick drangen rings aus seinem Körper kleine Funkengarben in den Boden.

Mehr hatte ich nicht wahrgenommen, denn da rannte ich, von Entsetzen gepackt, bereits nach hinten, ungeachtet der noch berstenden Entladungen neben mir.

Und liegen gelassen hatten sie diesen Stephan. Es bestand keine Chance, die Toten zu bergen, auch die Verwundeten nicht, sollte es welche gegeben haben.

„Na, geht’s schon besser?“

Ich benötigte eine Sekunde, um mich zurückzufinden. Hugh stand neben mir und blickte mich aus den unter buschigen Brauen liegenden guten Augen ein wenig spöttisch, ein wenig schmerzerfüllt an.

Hugh, obgleich fast doppelt so alt wie ich, war mir von meiner Truppe am sympathischsten. Oder mochte ich ihn, weil er schon ein alter Hase war, der gleich von Anfang an vor den Eindringlingen einherlief, darin die meiste Erfahrung hatte? Muss man so einen nicht sympathisch finden, bot er in seiner Person nicht die Überlebenschance, allein weil man von seinen Erfahrungen das eigene Verhalten herleiten konnte? Und das um so mehr, je besser man sich mit ihm stand?

Nein, Hugh war einfach ein Kumpel, kehrte nicht den Vorsprung hervor, den er vor den Neulingen hatte, protzte nicht. Aus dem wenigen, was man von ihm erfahren konnte, war zu schließen, dass er ein Unikum war, einer, dem Mutterwitz in die Wiege gelegt worden ist.

Und auch jetzt strahlte dieses etwas zerknitterte, runde Gesicht mit dem dichten, verworrenen Haarkranz drumrum, den schlecht rasierten Wangen, der breiten, ein wenig negroiden Nase so viel Vertrauen aus, dass ich keinen Grund sah, auch nur irgendetwas zu verheimlichen, und sei es noch so eine Bagatelle, aber es war keine. Ich schüttelte den Kopf. Nein, es ging mir nicht besser, hundeelend war mir, zum Davonlaufen.

„Du gewöhnst dich“, sagte Hugh. Und es klang tröstlich, nicht nur so dahingesagt. Eine Sekunde lang legte er die Linke auf meine Schulter.

„Und der Sinn?“ Ich fragte es bitter.

Hugh zog die Augenbrauen hoch, machte ein Na-weiß-man’s- denn-Gesicht. „Der Sinn …“, wiederholte er. „Du meinst, weil wir laufen wie die Hasen? Das, Junge, muss sich ändern, wird sich ändern – wenn alle munter werden. Immerhin, seit die Schufte merken, dass Widerstand da ist, rücken sie wesentlich langsamer vor, noch langsamer als vordem.“

„Was ist das schon für ein Widerstand!“ Ich klopfte verächtlich an mein doppelläufiges Jagdgewehr.

Hugh lächelte verschmitzt. „Warte ab“, sagte er. „Und mit denen hier sieht’s schon ein wenig anders aus!“ Er strich mit der Linken über die Rohre, die hinter seiner Hüfte hervorlugten und die zu drei gleichartigen Dingen gehörten, die Hugh mit einer Schnur zusammengebunden hatte und über dem Rücken trug. Die Gegenstände hatten doppelkegelige Köpfe und schienen schwer zu sein. Der Strick schnitt ordentlich in Hughs Schulter.“ Und damit zu den ausführlicheren Vorstellungen der anderen vier Sonderangebote dieses Newsletters – des Branstner-Letters:.

Erstmals 1976 erschien im Henschelverlag Kunst und Gesellschaft Berlin „Ich kam und sah und lachte. Balladen, Anekdoten und Aphorismen“ von Gerhard Branstner: Mit der für den Autor typischen Verbindung von Humor und Lebenskunst bringt er den Leser zum Schmunzeln und Nachdenken. Das gilt besonders für seine Nepomuk-Anekdoten. Lassen Sie sich provozieren – zum Mit-Denken:

I Nepomuk‘s

Später Genuss

Seitdem Nepomuk nicht mehr rauchte, sammelte er mit leidenschaftlichem Eifer alle Artikel, die gegen diese schädliche Gewohnheit gerichtet waren. Darauf aufmerksam gemacht, dass diese Artikel jetzt doch keinen Nutzen mehr für ihn hätten, sagte er:

„Aber jetzt erst lese ich sie mit Genuss.“

Vorsorge

Ein Mann, dem in Kürze ein einigermaßen wichtiges Amt übertragen werden sollte, erzählte Nepomuk davon, wie er sich auf seine neue Aufgabe freue. Aber eine Sorge, so sagte er, bedrücke ihn sehr. „Ich mag gar nicht daran denken, was werden wird, wenn ich dieses verantwortungsvolle Amt einmal nicht mehr selber betreuen kann.“

„Dann sollten Sie es gar nicht erst übernehmen“, sagte Nepomuk und ging seiner Wege.

Das Ding an sich

Ein Herr, der den Sozialismus das erste Mal aus eigener Anschauung erlebt hatte, äußerte Nepomuk gegenüber seine Anerkennung für die einzelnen Einrichtungen sozialer, kultureller und anderer Natur. „Nur“, so glaubte er sagen zu müssen, „gegen den Sozialismus an sich habe ich meine Bedenken.“

Darauf erwiderte Nepomuk: „Von einem Menschen, der den Sonnenschein lobt, aber die Sonne an sich nicht mag, sagt man, dass er nicht auf gutem Fuße mit der Logik stehe.“

Medizin und Politik

Nepomuk wurde vorgehalten, dass die revolutionäre Entwicklung stets eine schmerzhafte Geschichte sei.

„Das ist nicht wahr“, behauptete Nepomuk. „Hinsichtlich der sozialistischen Revolution sind wir gerade dabei, die Methode der schmerzarmen Entbindung einzuführen. Ihre Möglichkeit besteht darin, dass auch in der Gesellschaft die Geburt des Neuen ein völlig natürlicher Vorgang ist.“

Das Vermögen des Menschen

„Was glauben Sie“, fragte Nepomuk einen Mann, der einen ungenügenden Begriff von den Wirkungen der Zeit offenbarte, „was glauben Sie, welches Vermögen entstanden wäre, wenn Jesus einen Pfennig auf Zins gelegt hätte? Die Erben dieses Herren würden heute Millionäre sein.“

Der andere gab zu, dass das seine Schätzung weit übertraf.

„Wie unschätzbar“, fuhr Nepomuk fort, „muss Ihnen dann erst das Vermögen der Menschheit, die doch von Anbeginn an Tag für Tag mehr als nur einen Pfennig auf Zins legte, erscheinen? Und wie wollen Sie dieses Vermögen verwalten, wenn Sie keinen Begriff von seinem Werte haben?“

Das Paradoxon der Lebenskunst

„Gewöhnlich wird das Leben für eine Kunst, das Sterben gemeinhin jedoch für etwas gehalten, was selbst der Dümmste, ohne es gelernt zu haben, allemal und im rechten Augenblick zuwege bringt. Das aber ist ein Irrtum“, erklärte Nepomuk. „In Wirklichkeit sterben wir täglich, von Kind auf, denn täglich sterben uns Gefühle, Gedanken, Erinnerungen und andere Lebensinhalte (wie täglich neue geboren werden). Und damit fertig zu werden ist oft sehr schwierig, nicht damit fertig zu werden aber immer schmerzhaft, wenn nicht sogar tragisch. Daher besteht die Kunst des Lebens recht eigentlich darin, das Sterben frühzeitig und immer besser verstehen zu lernen.“

Der heilige Martin

Nepomuk wurde von einem Bettler um eine Gabe angehalten. Er gab ihm die Hälfte seines letzten Geldscheines.

Die unmoralische Tugend

Als Nepomuk hörte, wie einmal mehr das Lob der Bescheidenheit gesungen wurde, rief er aufgebracht: „Wer seine Fähigkeiten unter dem Mantel der Bescheidenheit verbirgt, erschwert ihren richtigen Einsatz oder macht ihn unmöglich. Daher ist Bescheidenheit nichts als Drückebergerei!“

Schnupfen und Schnupfen lassen

Ein Bekannter Nepomuks hatte in der Zeitung von dem geplanten Bau einer sowjetischen Orbitalstation, die auf unbegrenzte Zeit um die Erde fliegen solle, gelesen und meinte, bei dieser erstaunlichen Leistungsfähigkeit der sozialistischen Wissenschaft sei nicht daran zu zweifeln, dass bald ein sicheres Mittel gegen den Schnupfen entwickelt werde.

„Geduld“, gab Nepomuk zu bedenken, „Schnupfen ist kein Schwerpunkt.“

Die dritte Seite

Als einmal ein Wortgefecht kein Ende nehmen wollte, da es um eine Scheinfrage ging, zog Nepomuk eine Münze aus der Tasche, betrachtete sie kopfschüttelnd und fragte schließlich:

„Ach bitte, wo ist hier die dritte Seite der Medaille?“

Dilemma der Kritik

In einer Gesellschaft wurde die Behauptung aufgestellt, viele Fehlurteile über Kunstwerke rührten nur daher, dass deren Schöpfer noch nicht berühmt seien. Nepomuk stimmte dem zu, bemerkte jedoch ergänzend, dass wohl ebenso viele Fehlurteile der Berühmtheit geschuldet seien.

Bilanzierte Dichtung

Nepomuk hatte sich die Mühe gemacht, einen Gedichtband in Prosa zu übersetzen. Die Übersetzung lautete: Die Welt ist schön. Die Welt ist nicht schön.

Autorenschicksal

Nepomuk verfasste einen Roman, der ihm bald so spannend erschien, dass er es nicht mehr erwarten konnte und sogleich das Ende schrieb.“

Erstmals 1982 veröffentlichte Gerhard Branstner im Mitteldeutschen Verlag Halle – Leipzig „Die unmoralische Tugend Nepomuks“: Nepomuk äußerte seinen Unmut darüber, dass wir unsere öffentlichen Angelegenheiten nicht mit dem nötigen Humor handhaben. Geduld, sagte man ihm, Humor braucht Zeit. Humor spart Zeit !, versetzte Nepomuk ungeduldig.

Von solcher Art sind die heiteren und Heiterkeit erzeugenden Kurz-Anekdoten um Nepomuk – eine Figur, die nicht nur geistvolle Spitzen gegen Kritikwürdiges setzt, eingefahrene Denkschablonen aufdecken, sondern Mögliches, Anstehendes vorwegnehmen will. Dies gelingt durch direkte oder aberwitzige, auf den Kopf gestellte Fragen und Handlungsweisen, die das Mit-Denken provozieren und die Lektüre zu einem Vergnügen im Brechtschen Sinne machen. Hier einige weitere dieser Nepomuks:

Wortakrobatik

Da man Nepomuk für verpflichtet hielt, auf alles eine Antwort zu haben, fragte man ihn, wie der übermäßig gewordene Gebrauch der großen Worte zu erklären sei.

„Ganz einfach“, versicherte Nepomuk, „nämlich aus der Natur des Wortes. Wie jeder weiß, trifft es gemeinhin nicht auf sich selbst zu: Das Wort teuer ist nicht teurer als das Wort billig, das Wort Tonne nicht schwerer als das Wort Gramm. Wenn aber ein Wort so leicht und billig ist wie das andere, weshalb sollten wir da mit den großen knausern? Also knausern wir mit dem Gramm und aasen mit der Tonne.“

Das Glück des Tüchtigen

Nepomuk war bei einem Verkehrsunfall zu Schaden gekommen. Als man ihm sagte, er könne von Glück reden, dass er noch mit dem Leben davongekommen sei, wehrte er bescheiden ab.

Belehrung durch Verkehrung

Als Nepomuk eine Behauptung aufstellte, wurde ihm vorgehalten, dass er in der gleichen Sache vormals das genaue Gegenteil behauptet habe.

„Und welche von beiden Behauptungen“, fragte Nepomuk streng, „ist die richtige?“

„Die erste“, antwortete man.

„Warum habt ihr das nicht gleich gesagt“, schimpfte Nepomuk, „da hätte ich mir die zweite ersparen können.“

Vom Nutzen des Zusehens

Nepomuk beobachtete gern Versuche, verzwickte Probleme zu lösen. „Nicht nur, dass man sich dadurch manches Lehrgeld erspart, vor allem“, so betonte er, „kann man dabei Menschen kennenlernen.“

Der versetzte Weissager

„Ihr Kragen“, bedeutete man Nepomuk, „ist nicht mehr ganz weiß.“

„Woher wissen Sie, dass er weiß sein soll?“, versetzte Nepomuk erstaunt.

Die vertauschten Werte

Ein Ziergärtner führte Nepomuk durch das Gewächshaus und schenkte ihm am Ende eine Orchidee. „Diese Pflanze“, sagte er feierlich, „ist eine Kostbarkeit: Sie blüht nur aller vier Jahre.“

Nepomuk bedankte sich hocherfreut und schenkte dem Gärtner seine erlahmte Taschenuhr. „Diese Zwiebel“, sagte er feierlich, „ist auch eine Kostbarkeit: Sie zeigt nur zweimal am Tage die richtige Zeit an.“

Sammlerleidenschaft

„Wer mit Leib und Seele Philatelist ist“, behauptete Nepomuk, „kann nicht an ein Leben nach dem Tode glauben.“

„Und warum nicht?“, wurde er gefragt. „Im Himmel gibt es keine Briefmarken.“

Rationalisierung des Aufwands

Ein in der Nebenwohnung überlaut eingestelltes Radio störte Nepomuk bei der Arbeit. Er bat den Anwohner um Mäßigung, worauf dieser sogleich einen Streit vom Zaune brach. Nepomuk meinte, dass sie doch zunächst einmal versuchen sollten, die Sache in aller Ruhe zu bereinigen. Falls sich das als erfolglos erweise, könnten sie es immer noch mit einem Streit probieren.

Maß für Maß

Während eines Gesprächs über die Brauchbarkeit alter Spruchweisheiten wurde auch der Rat zitiert, dass der Mensch sich nach der Decke strecken solle.

„Gerade an diesem Beispiel“, rief Nepomuk zornig, „können wir sehen, mit welcher Vorsicht die alten Weisheiten zu handhaben sind, denn hier wird nicht der Mensch, sondern die Decke zum Maß aller Dinge, sogar des Menschen gemacht.“

Nutzen der Kunst

Die Kunst sei etwas absolut Notwendiges, rief ein Redner mit geschwollener Halsader, und er glaubte, der Kunst etwas zuliebe gesagt zu haben.

„Mitnichten“, widersprach Nepomuk, „die Kunst ist etwas absolut Überflüssiges. Wäre es denn sonst eine Kunst, sie als unentbehrlich zu empfinden?“

Erkenntnis des Irrtums

Nepomuk fiel auf, dass des Öfteren das Zuspätkommen einer Erkenntnis mit dem Hinweis, dass sie früher zu früh gekommen wäre, noch als Verdienst ausgegeben wird. „Auch die Wahrheit“, so beteuert man, „ist zeitbedingt: Wenn sie zu früh publik wird, stiftet sie nur Unruhe.“

„Diese Auffassung von der Zeitbedingtheit“, konterte Nepomuk , „ist ein Irrtum, und der ist allerdings zeitbedingt.“

Politik des Geschmacks

„Ich mag Salzheringe nicht“, bemerkte Nepomuk unvermittelt während eines Gespräches über den kultivierten Geschmack.

„Aber weshalb?“, wandte ein anderer ein. „Sie schmecken doch sehr gut.“

„Ich möchte selber wissen, weshalb ich sie nicht mag“, meinte Nepomuk grinsend, „mir schmecken sie auch sehr gut.“

Mit anderen Augen

„Wenn der Mensch“, sagte Nepomuk einem ewigen Rechthaber, „sich mit sich streiten könnte wie mit einem anderen, würde mancher wohl erkennen, was andere daran hindert, sich mit ihm zu einigen.“´

Erstmals 1971 erschien im damaligen im VEB Hinstorff Verlag Rostock „Der Narrenspiegel. Aber auch Das Buch der sieben Künste. Als da sind: Die Kunst zu lachen. Die Kunst zu lieben. Die Kunst zu leiden. Die Kunst zu lästern. Die Kunst zu loben. Die Kunst zu lernen. Die Kunst zu leben“ von Gerhard Branstner: Hier geht es um nicht weniger als sieben Künste: Mit der für den Autor typischen Verbindung von Humor und Lebenskunst bringt er den Leser zum Schmunzeln und Nachdenken. Und hier ein Stück vom Anfang, in dem Gerhard Branstner gleich zu Beginn über einen kräftigen Regelverstoß aufklärt, den der Autor zu verantworten hat:

„Geleitwort

Was jetzt kommt, ich sage es nur gleich und ohne Umstände, verstößt gegen alle Regeln der Kunst. Es war dies ein schweres Stück Arbeit. Nicht nur dass ich mir erst alle Regeln erfragen musste, um gegen sie verstoßen zu können! Manche sind so anziehend, dass man bestimmt auf sie hereinfallen würde, wenn man sie nicht genau kannte. Man muss schon kein Dummkopf sein, wenn ein solches Versprechen, alle Regeln der Kunst wie Luft zu achten, kein hohles Wort sein soll. Kaum hat man einen Satz geschrieben in dem guten Glauben, dass darin aber auch gar nichts an Kunst enthalten sei, und schon springt einem eine Regel ins Auge, der man unvermerkt gefolgt ist. Man tilgt sie aus, um letzten Endes doch nur einer anderen Genüge getan zu haben. Ja, es ist schwer, kein Künstler zu sein. In einem fort fällt man über seine Unfähigkeit, der Kunst aus dem Wege zu gehen.

Nun, mein Lieber, wird der Leser sagen, wir haben dich durchschaut. Du willst deine totale Unfähigkeit, den Regeln der Kunst zu folgen, als eine aparte Fähigkeit, die Regeln der Kunst zu umgehen, ausgeben und dafür noch einen besonderen Respekt einhandeln. Nichts von alledem, verehrter Leser, nichts von alledem. Zwar rechne ich auf deinen Respekt, aber in dem Bewusstsein, ihn ehrlich verdient zu haben. Wenn du es nicht wahrhaben willst, so versuch es nur einmal selber, und du wirst sehen, dass die Regeln der Kunst wie kleine Kinder sind, über die man allenthalben stolpert, wenn man nur genug davon hat.

Was also blieb mir übrig in einer Lage, in der Fleiß nicht helfen konnte? Ich musste eine Idee haben, um der Kunst mit einem Hieb den Garaus zu machen, das Übel durch einen Husarenstreich gleichsam mit der Wurzel auszureißen, und die Wurzel aller Kunst ist die Wahrheit. Ohne sie ist die Kunst, was die Pflaume ohne Wurm: ein Ding, worüber sich kein Mensch aufregt.

Nachdem ich nun auf diese Weise jedem Vorwurf, das Kommende sei keine Kunst und nicht des Aufregens wert, weil absolut ohne Wahrheit, begegnet bin auf eine Weise, dass der Leser nicht sieht, wie er mir diesen Vorwurf trotzdem noch machen kann, ohne sich in den Schlingpflanzen meiner Vorrede zu verheddern, komme ich ohne weiteres zur Sache.

Die Kunst zu lachen

Humor hat, wer gleich lacht. Später lachen ist keine Kunst.

Herein, ihr Narrenvolk!

In vielerlei Gestalt

verkappt sich Narrenheit

und treibt ihr böses Spiel

noch immer weit und breit.

Die Narrheit stellt sich weise

und lebt auf großem Schuh.

Die Weisheit steht daneben

und drückt ein Auge zu.

Die Weisheit ist nichts nutze,

wenn sie nicht Narren bläut.

Die Kappe reißt vom Kopfe

den Narren hier und heut!

Herein, ihr Narrenvolk!

Und schön der Reihe nach.

Verdrückt euch nicht, es trifft

euch doch der Narrenschlag.

Von einem Manne, der sich zu Tode lachte, nachdem er sein Testament gemacht hatte

Nur wenige verstehen es, lachend zu sterben. Aber nur einem Manne ist es bisher gelungen, lachend zu Grabe getragen zu werden. Dass es in einem in den südfranzösischen Weinbergen gelegenen Dorfe geschah, mag jedoch manches erklären. Dieser seltsame Kauz nun – oder soll man ihn einen seltenen Weisen nennen? – hatte nämlich ein Testament aufgesetzt, das in seiner Art wohl einmalig genannt werden darf. Sein Lebenlang ein wahrer Till Eulenspiegel, dachte er auch auf ein Begräbnis, das seiner würdig sein sollte. So bestimmte er, dass sein gesamtes Vermögen demjenigen zufallen sollte, dem es gelänge, die Trauergemeinde zum Lachen zu bringen, denn er wolle bei seinem Begräbnis keine traurigen Gesichter um sich sehen. Von seiner lebhaften Vorstellungskraft gepeinigt, brach er, kaum dass er das letzte Wort des Testaments niedergeschrieben hatte, in ein unbändiges Lachen aus. Der Gedanke an sein eigenes Begräbnis brachte ihn förmlich um. Sein vom Alter geschwächter Körper wurde von immer neuen Ausbrüchen eines nicht enden wollenden Gelächters hin und her geworfen, bis ihn schließlich das Leben verließ. Als der gewaltige Trauerzug – die merkwürdige Klausel des Testaments hatte viele Menschen angelockt – sich in Bewegung setzte, begann bereits der eine und andere, seinen Nebenleuten die Lachmuskeln zu kitzeln. Da jedoch keiner dem anderen das Erbe gönnte, blieb zunächst jeder Erfolg aus. Nun dachte dieser und jener, euch werde ich schon kriegen, das wäre ja zum Lachen. Und er holte aus seinem Gedächtnis heraus, was er nur jemals an Belachenswertem erlebt oder erhört hatte. Noch immer vergebens. Aber an Aufgeben dachte keiner, das Erbe lockte. Man musste es nur richtig anfangen. Wohlüberlegte Witze, die man fürs erste noch zurückgehalten hatte, wurden zum Besten gegeben. Und jetzt schien es nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis das erste Lachen ausbrach. Einige zeigten schon unverkennbar Wirkung: vom zurückgehaltenen Lachen schmerzhaft verzogene Gesichter waren zu sehen, und je näher der Trauerzug dem Friedhofe kam, desto größer wurde die Zahl derer, die mit gekrümmtem Körper und verzerrten Gesichtern dahinschritten, und endlich hatte der ganze Trauerzug dieses Aussehen erhalten. Bald wussten sich die Leute nicht anders zu helfen, als durch ununterbrochenes Erzählen von Witzen sich davor zu bewahren, die Witze ihres Nachbarn auf sich wirken zu lassen, so dass der Zug das merkwürdige Geräusch eines ununterbrochenen und vielstimmigen Gemurmels hervorbrachte. Ein entfernt Stehender konnte dieses Geräusch in Verbindung mit den schmerzgekrümmten Gestalten nur für inbrünstige Litaneien einer von tiefer Trauer gebeugten Gemeinde ansehen. Wäre er jedoch näher getreten, es hätte ihm die Sprache verschlagen, denn inzwischen waren die Trauernden bei den Witzen von der übelsten Sorte angelangt. Keiner legte sich mehr irgendwelchen Zwang auf; man kämpfte verzweifelt, versuchte die anderen zu überschreien, schnitt die unverschämtesten Grimassen und hielt zugleich die immer wieder aufkommende Lachlust, die sich wegen ihrer widernatürlichen Unterdrückung inzwischen in eine erbitterte Lachwut gesteigert hatte, verbissen zurück.

Endlich hatte der Trauerzug den Friedhof erreicht. Der Sarg wurde vor der ausgeworfenen Grube niedergesetzt, und der Pfarrer begann mit seiner Predigt. Da ihm aber das Testament nicht unbekannt geblieben und niemand als Bewerber um das Erbe ausgeschlossen war, trug auch er sich mit der Absicht, den Sieg davonzutragen. Zunächst ließ er nur einige harmlose Späße in die Predigt einfließen. Als diese nicht verfingen, erzählte er einige Anzüglichkeiten aus dem Alten Testament. Die Trauergemeinde hörte interessiert zu, war jedoch noch mühelos in der Lage, das Lachen zu unterdrücken. Der Diener Gottes geriet in Rage und schmetterte seinen Zuhörern jetzt die deftigsten Witze entgegen, die er sonst nicht einmal in der intimsten Stammtischrunde zu erzählen gewagt hätte. Die Trauergäste fingen wieder an sich zu krümmen, aber kein Laut kam über ihre Lippen. Der Gottesmann kam außer sich, die Erfolglosigkeit seiner Anstrengungen ließ ihn jeden Witz vergessen, und mit donnernder Stimme schleuderte er der Trauergemeinde die schrecklichsten Verwünschungen entgegen. Jetzt, wo er ein Erreichen seines Zieles schon aufgegeben hatte, wäre es ihm fast gelungen, das entscheidende Gelächter auszulösen. Das die grimmigsten Flüche ausstoßende Gesicht des sonst so gottgefälligen Mannes bot eine solche Komik, dass selbst ein wirklich in tiefste Trauer versenkter Mensch all sein Leid vergessen und ein unbändiges Gelächter angestimmt hätte. Die Zuhörerschaft des Pfarrers hatte sich jedoch schon wieder gefasst und lauschte seinen Donnerworten mit der ernsthaftesten Miene. Dabei traten den so mörderisch Gepeinigten vor zurückgehaltenem Lachen schier die Augen aus den Höhlen. Als der Pfarrer, befreit von der Absicht, die anderen zum Lachen zu bringen, mit nüchternem Blick die ihn mit hervorquellenden Augen anstarrenden Trauergäste gewahr wurde, kam ihm ein ganz eigenartiges Gefühl an. Und plötzlich lachte er wie verrückt los. Das tollste Gelächter, das je gesehen oder gehört wurde, schüttelte ihn durch und durch. Vom Lachen haltlos geworden, taumelte er hin und her und stürzte schließlich in die ausgehobene Grube. Jetzt war es auch um die Trauergemeinde geschehen. Ein schreckliches Gelächter brach los. Die Menschen schlugen sich gegenseitig in die Seite, hieben sich auf die Schulter, stießen sich gegen die Brust, lachten wie die Tollen, und bald wälzte sich die gesamte Trauergemeinde auf dem Friedhof. Einige fielen zu dem Pfarrer in die Grube, andere rollten gegen Grabsteine, wieder andere blieben still auf dem Rücken liegen, und nur ihre Bäuche zuckten seltsam. Erst nach einer geraumen Zeit raffte man sich auf. Einer nach dem anderen ordnete seine Kleider, befreite sich vom Schmutz und half dem Pfarrer und den übrigen aus der Grube heraus, um an ihrer Statt den Sarg hineinzusenken. All das geschah unter ständigem Gelächter, das, waren die Kräfte auch erschöpft, nur langsam abebben wollte. Nach Vollzug der letzten Feierlichkeiten machte sich der Zug auf den Rückweg. Witze wurden nicht mehr erzählt, denn alle hatten den Schluckauf, und ein entfernter Stehender hätte meinen können, die zurückflutende Trauergemeinde wäre in Gedanken an den Dahingegangenen von einem allgemeinen Schluchzen ergriffen.

Das Erbe aber kam allen zugute, denn schließlich war es die Trauergemeinde in ihrer Gesamtheit, die den Pfarrer und dieser wiederum, der die Gemeinde zum Lachen gebracht hatte.

Das Ende der Welt

(Tacitus)

Im Norden der Suionen liegt ein anderes Meer, träge und fast ohne Bewegung. Die Annahme, es schließe den Erdkreis ringsum ab, findet ihre Bestätigung dadurch, dass der letzte Schein der bereits sinkenden Sonne stets so hell bis zu ihrem Wiederaufgang weiterleuchtet, dass er die Sterne überstrahlt. Außerdem ist, so glaubt man noch, das Klingen der aus dem Meere auftauchenden Sonne zu hören und sind Umrisse von Pferden und ein strahlenumkränztes Haupt zu sehen. Hier ist – und das darf man glauben – das Ende der Welt.

Noch vor gar nicht allzu langen Jahren

war die Vorstellung von dieser Welt

sehr beschränkt.

Heut’ dagegen wird zum Mars gefahren,

und die Venus selbst ist

stark bedrängt.

Unter Vorbedingung dieses Dreistes –

um die Hoffnung ist’s nicht

schlecht bestellt.

dass als „wesentliche Form des Geistes“

uns die Heiterkeit bald

leichter fällt.

Humor ist die Selbstbestätigung als Subjekt, die zum Gegenstand eines Genusses geworden ist, wodurch ihre Handhabung die spielerische Eleganz, die Leichtigkeit, den Charme gewinnt, welche Eigenschaften in ihrer Gesamtheit das „gewisse Etwas“ ausmachen, welches der Erscheinung des Humors eigen ist.

Mancher würde die Hälfte seines Lebens hingeben, wenn ihm der Tod erspart bliebe.

Wer seinen Humor verliert, beweist, dass er nur Witz gehabt hat.

Dass der Mensch sich freuen kann, setzt voraus, dass er sich ärgern kann, aber nicht, dass er sich ärgert.

Humor äußert sich als Spiel mit der Form, weil der Inhalt beherrscht wird.

Humor ist eine ernsthafte Sache, die in der ihr entgegengesetzten Form in Erscheinung tritt und dadurch beides erhöht und vertieft: sowohl die Ernsthaftigkeit wie die Heiterkeit.

Heiterkeit ist die Vermenschlichung des Ernstes.

Das Lachen der Schadenfreude entspringt oft weniger der Genugtuung über den Schaden des anderen als vielmehr der Freude über das eigene Davongekommensein.

Der Humor ist (kybernetisch gesprochen) das Regulativ des psychischen Menschen als sichselbststabilisierendes System.

Das Spiel des Erwachsenen, will es nicht kindisch sein, muss Humor haben; ebenso die Kunst.

Heute sind wir noch immer entweder ernst oder heiter, und das auch in der Literatur. Dabei wird das eine wie das andere vollkommen erst durch die wirkliche Verschmelzung beider, auf die einige Leute allerdings schlecht zu sprechen sind, weil sie nicht wissen, wie sie sich ihr gegenüber verhalten sollen.

Ein lahmer Schreiber kann keinen eiligen Brief schreiben*

Ein Kaufmann bat einen Schreiber: „Setze mir einen Brief auf, es ist eilig!“

„Das geht nicht“, erwiderte der Schreiber, „ich habe mir den Fuß verstaucht.“

Der Kaufmann konnte diese rätselhafte Rede nicht verstehen. Da stand der Schreiber auf und humpelte einige Male hin und her. „Wenn der Brief etwas weniger eilig ist“, sagte er, „könnte es gehen.“

Der Kaufmann verstand noch immer nicht. „Ich will dich ja nirgendwo hinschicken“, sagte er, „du sollst mir doch nur den Brief aufsetzen.“

„Jedes Mal, wenn jemand einen von mir geschriebenen Brief erhält“, erklärte jetzt der Schreiber, „lässt man mich rufen, da kein anderer als ich meine Handschrift lesen kann.“

„Das trifft sich gut“, sagte der Kaufmann, „denn der Brief soll eine geheime Botschaft enthalten. Und gar so eilig ist er nicht.“

Da war der Schreiber einverstanden und setzte die geheime Botschaft auf. Er kritzelte jedoch nur willkürliche Zeichen auf das Papier, denn in Wirklichkeit konnte er überhaupt nicht schreiben. Aber er besaß ein ausgezeichnetes Gedächtnis.

Also: Das schlimmste Gekrakel gilt oft als Orakel

Die durch ein * gekennzeichneten Anekdoten wurden nach dem Orientalischen geschrieben.“

Erstmals 2011 veröffentlichte Gerhard Branstner bei KALASCHNIKOW, Das Politmagazin als Der Querschläger Nr. 4 (Philosophischer Salon) „Das System der Heiterkeit. Die Religion der Atheisten – Elemente einer Grundlegung“. Dazu lesen wir vom Autor zunächst die folgende Selbstbeschreibung: Nach der Gleichheit ist mir die Heiterkeit die vornehmste Eigenschaft des Menschen. Freiheit kann nur inmitten dieser beiden wohnen. Die Heiterkeit aber, jedenfalls wenn sie aus sozialer Gleichheit und Freiheit entspringt, ist der Sinn und Genuss unseres Daseins. Und da der Mensch von Natur aus und normalerweise gleich und frei ist, führt er auch dieses Dasein. Alle anderen Berichte entsprechen nicht der Wirklichkeit. Die Heiterkeit ist den Naturvölkern, bei allen Irritationen durch Aberglauben und natürliche Widernisse und dergleichen, die unablässige Grundstimmung.

In der Klassengesellschaft geht mit der Gleichheit auch die Freiheit und mit dieser die Heiterkeit als Grundstimmung verloren und wird zur Grundsehnsucht. Um lediglich als verfehltes Bedürfnis und karnevalistische Narrheit fortzuexistieren. Mit welcher Lebenskraft die Heiterkeit ihre Bedingungen sucht, beweist sie in der italienischen Commedia dell´ arte, wie sie infolge der Renaissance ihre eigene Welt errichtete, eine geschlossene Welt der Heiterkeit. Hingegen verdirbt die Verernstung der Klassengesellschaft alle positiven menschlichen Eigenschaften wie Verlässlichkeit, Ehrlichkeit, Geselligkeit, Hilfsbereitschaft, Gastfreundschaft, Frieden und Freundschaft. Hier ein weiteres Textstück:

Die Phase der Verernstung

Die immer wieder mit Erstaunen und Bewunderung beobachtete Heiterkeit beruhte auf ihrer Freiheit, und ihre Freiheit beruhte auf ihrer sozialen Gleichheit. Und umgekehrt: „Die soziale Ungleichheit schlägt um in soziale Unfreiheit.“ (E. W Böckenförder) Und im Ernst.

Alles Leben ist durch die Klassengesellschaft geprägt, und die Klassengesellschaft ist eine Geschichte der Verernstung. Und die macht alles verkehrt, vor allem die Politik. Der Kampf um die Freiheit ist ernst, die Freiheit selbst ist heiter. Ohne die Vorahmung dieser Heiterkeit der Freiheit sind wir, statt wirklich ernsthaft zu sein, statt den Ernst in Heiterkeit aufzuheben, Sklave des Ernstes.

Das welthistorische Unglück der Verernstung

Das utopische Denken wird schlechthin im Vorhof des wissenschaftlichen Sozialismus von Marx und Engels angesiedelt. In Wirklichkeit existiert es in mehr oder weniger artikulierter Form seit dem Beginn der Klassengesellschaft, denn der tiefste Sinn aller Gesellschaftsutopie ist die Sehnsucht nach der Gleichheit der Menschen. Und diese Sehnsucht wurde mit der Ungleichheit des Eigentums (an den Produktionsmitteln) und aller anderen daraus entspringenden Ungleichheiten geweckt. Selbst das an Jesus und dem Urchristentum heute noch Gültige ist nur so erklärbar.

Wie die „unablässige Heiterkeit“ (Hermann Melville) der Naturvölker auf der sozialen Gleichheit beruhte, so beruht die Verernstung des Menschen in der Klassengesellschaft auf der sozialen Ungleichheit und deren unmenschlichen Folgen. Und die dümmste Folge besteht darin, dass sich die Menschheit dieses Vorgangs bis heute nicht bewusst ist.

Die Bewusstheit äußert sich in der unbotmäßigen Heiterkeit.

Ein verhängnisvoller Fluch, der auf uns lastet, ist die Verwaltung des Menschen durch den Menschen. Durch diese Verwaltung wird die Autonomie des Menschen, sein höchstes Gut, eingeschränkt und aufgehoben. An die Stelle der eigenen Entscheidung über sich selbst tritt die fremde Entscheidung über ihn; sein Wohl und Wehe hängt von der Urteilsfähigkeit, dem Gerechtigkeitssinn, der Laune, den Interessen, dem Charakter anderer ab.

Wenn die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen schon infam ist, so ist die Verwaltung des Menschen durch den Menschen noch infamer. Die Ausbeutung entwendet ihm nur sein Produkt, die Verwaltung entwendet ihn selber.

Die Verernstung, der Verwaltung des Menschen durch den Menschen geschuldet, ist ein schwerwiegender und folgenreicher historischer Vorgang, der, wie bei dem Mangel an sozialer Vererbung nicht verwunderlich, kaum wahrgenommen wird. Allein die mit der Verernstung verbundene Verblödung hat viele Formen, vom Sadismus bis zum Bürokratismus, von der Individualisierung, Vereinzelung, Sprachlosigkeit, Ungeselligkeit bis zum krankhaften Misstrauen, von der Obrigkeitsgläubigkeit bis zu Heuchelei usw. usf.

In der in Besitzende und Besitzlose halbierten Gesellschaft ist auch das Lachen halbiert, es gibt keine ungeteilte Freude. Des einen Freud ist des anderen Leid. Lukian macht in seinem Totengespräch Die Überfahrt oder Der Tyrann diesen Tatbestand deutlich, wenn er den Tyrannen Megapenthes um sein Leben betteln lässt, wogegen der Schuster Mikyllos zu sagen hat: „Übrigens hat es mit mir eine ganz andere Bewandtnis als mit den reichen Herren. Ihr Leben und mein Leben sind das vollkommene Gegenteil. Der Tyrann dünkte sich glücklich; er stand in hohem Ansehen, wurde von jedermann gefürchtet und hatte eine Menge Gold und Silber, es ist also ganz natürlich, dass es ihm wehe tut, von dem allen weggerissen zu sein. Ich hingegen, der weder Äcker noch Haus und Hof noch bares Geld noch Geräte noch Ehrenstellen noch Ahnenbilder auf der Welt zurückließ, ich war gleich reisefertig, weil ich nichts hinterließ, das mich auch nur den Kopf zu drehen gereizt hätte. Auch finde ich alles bei euch (im Totenreich) besser geordnet. Besonders die hier eingeführte Gleichheit ist sehr nach meinem Geschmack. Hier ist eine völlig umgekehrte Welt; wir armen Leute haben zu lachen, die Reichen jammern und heulen.“

Die zweite Stufe der Negation der Negation, die Stufe der Negation, ist gewöhnlich die unreinlichste. Das trifft voll und ganz auch auf die zweite Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung, auf die Klassengesellschaft zu. Solange die Gesetze zweiter Ordnung (die von Marx entdeckten Naturgesetze der Gesellschaft) sich nicht mit dem Gesetz erster Ordnung (dem Gesetz der Einheit von Mensch und Natur) anlegen, haben sie Narrenfreiheit, auch gegen sich selber. Mit der Klassengesellschaft durchläuft die Menschheit ihre Flegeljahre. Da sind Bocksprünge, Rösselsprünge, Purzelbäume und Bruchlandungen die beliebtesten Arten der Fortbewegung. Oder anders gesagt: Die Geschichte irrt sich dauernd. Oder mit Marx gesagt: Die Gesetze setzen sich durch, indem sie sich nicht durchsetzen.“

Schön, dass Sie bis hierher durchgehalten haben. Schließlich ist die Beschäftigung mit der Heiterkeit – auch bei Branstner – eine ziemlich ernsthafte Angelegenheit. Aber je mehr man sich dann damit beschäftigt, umso heiterer wird sie. Das trifft besonders auf die Nepomuk-Anekdoten und ihre ebenso dialektische wie menschenfreundliche Sicht auf die Welt zu. Apropos Weltsicht: Angesichts der aktuell ernsten Weltlage darf die Frage erlaubt sein, was Branstner/Nepomuk dazu Heiteres eingefallen wäre.

Viel Vergnügen beim Lesen, weiter einen schönen Herbst und bleiben auch Sie weiter vor allem schön gesund und munter und natürlich heiter und bis demnächst.

Oder um es noch einmal mit Freund Nepomuk zu sagen:

Optimismus

Nepomuk ging hin und kaufte sich für sein letztes Geld ein Portemonnaie.

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