„Diese Amnestie darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die iranischen Behörden unabhängigen Journalismus weiterhin systematisch unterdrücken“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die zwölf Begnadigten können jederzeit wieder ins Gefängnis gesteckt werden. 30 ihrer Kolleginnen und Kollegen sitzen noch immer in den Foltergefängnissen, Hunderte weitere arbeiten in Angst. Diese Maßnahme der iranischen Führung ist nicht mehr als ein Feigenblatt.“
Entlassungen von Häftlingen anlässlich der Jahrestage der Islamischen Revolution vom Februar 1979 sind nichts Ungewöhnliches. Allerdings werden nur selten politische Gefangene begnadigt. Zum diesjährigen 44. Jahrestag, fünf Monate nach dem Beginn der landesweiten Proteste, schon: Neun inhaftierte Journalistinnen und Journalisten wurden direkt aus der Haft entlassen, drei waren auf Kaution frei und warteten auf ihre Urteile.
Allerdings sind die Begnadigungen an Bedingungen geknüpft, wie der stellvertretende Leiter der iranischen Justiz, Hodschat al-Islam Rahimi, klarmachte. Die Betroffenen müssen ihre Handlungen „glaubhaft bereuen“ und sich verpflichten, sie in Zukunft nicht zu wiederholen. Für Medienschaffende bedeutet dies letztlich, nicht mehr journalistisch arbeiten zu können, – denn nur deshalb waren sie ins Gefängnis gekommen. Andernfalls riskieren sie eine deutliche Verschärfung ihres Strafmaßes.
Verpflichtungs- und Reueerklärungen
Davon berichtete unter anderem der Journalist Milad Alavi, der für die Tageszeitung Shargh arbeitet. Er war am 1. Januar 2023 festgenommen und 15 Tage später gegen Kaution freigelassen worden. Alavi schrieb, er habe unter Androhung einer härteren Strafe unterschreiben müssen, sich nicht an Unruhen und „illegalen Versammlungen“ zu beteiligen.
Der rechtliche Status der begnadigten Medienschaffenden unterscheidet sich von Fall zu Fall. Der unabhängige Journalist Kianosch Sanjari und seine Kollegin Saba Schardost warteten nach ihrer Freilassung gegen Kaution auf die Urteile in ihren Verfahren – und fanden ihre Namen auf einer Liste von Begnadigten. Der ehemalige Chefredakteur des Sportmagazins Bank Varzesh, Ehsan Pirbornasch, kam am 8. Februar frei. Am 10. Januar war er eigentlich zu 18 Jahren Haft verurteilt worden.
Masoud Kurdpour, Chefredakteur der Nachrichtenagentur Mukrian News, wurde am 14. Februar ebenfalls entlassen; er hatte drei seiner auf 17 Monate festgelegten Haftstrafe im Gefängnis in Bukan abgesessen. Ebenfalls begnadigt und freigelassen wurden die freien Journalisten Mehdi Sofali und Hossein Yazdi sowie Aria Jafari, Fotografin der Iran Student News Agency. In diesen Fällen ist nicht bekannt, ob sie Verpflichtungs- oder Reueerklärungen unterschreiben mussten.
Einer Umfrage der Tageszeitung Sharg Daily zufolge verlaufen die Amnestieverfahren höchst willkürlich. Ob und in welcher Form Erklärungen unterzeichnet werden müssen, variiere demnach je nach Region, Gefängnis und betroffener Person. In einigen Fällen hätten die Erklärungen implizite Eingeständnisse der gegen die Inhaftierten erhobenen Anklagepunkte enthalten. In Reaktion auf die Sharg-Daily-Veröffentlichung bestritten die Behörden, dass überhaupt Verpflichtungserklärungen unterzeichnet worden seien, und widersprachen damit ihren eigenen früheren Erklärungen.
„Solidarität der Hauptgrund für die Freilassung“
Fest steht allerdings, dass die drei Medienschaffenden, die schon vor Beginn der Proteste inhaftiert waren und nun ebenfalls begnadigt wurden, keine derartigen Verpflichtungserklärungen unterzeichnen mussten. Die Etemad-Fotografin Nouschin Jafari etwa saß seit 16. Februar 2021 in Haft, Alieh Motalebzadeh, Fotografin für Zanan, seit 11. Oktober 2020. Beide wurden am 10. Februar 2023 begnadigt. In einem von weiteren amnestierten Gefangenen mitunterzeichneten Schreiben vertraten sie die Ansicht, dass „die von der Bevölkerung und den freiheitsliebenden Jugendlichen im Iran gezeigte Solidarität der Hauptgrund für die Freilassung zahlreicher politischer Gefangener der vergangenen Tage“ sei.
Am 12. Februar schließlich wurde Amirabbas Azaramvand, Wirtschaftsjournalist bei der Tageszeitung Samt, begnadigt. Er saß seit dem 8. März 2022 in Haft, seine Strafe war ursprünglich auf vier Jahre und drei Monate angesetzt.
Seit 16. September 2022, also dem Tag, an dem die junge iranische Kurdin Jina Mahsa Amini mutmaßlich von iranischen „Sittenwächtern“ getötet wurde, wurden mindestens 60 Medienschaffende festgenommen und inhaftiert. Von den 28 noch inhaftierten Journalistinnen und Journalisten waren acht bereits vor Beginn der Proteste inhaftiert. Unter ihnen ist noch immer Narges Mohammadi, die Gewinnerin des Press Freedom Award 2022 von Reporter ohne Grenzen in der Kategorie Mut.
Repression auch im Ausland
Immer wieder werden auch in der iranischen Exilcommunity Journalistinnen, Reporter oder ganze Redaktionen bedroht, vor allem digital. Im Fall von Iran International wurden die Drohungen so konkret, dass der bekannte, regimekritische Sender sein Büro in London schließen musste und nach eigenen Angaben nach Washington umzieht.
In Deutschland im Exil tätige Medienschaffende berichteten RSF, dass von solchen konkreten Drohungen bisher wenig zu spüren sei. Ganz im Gegenteil zur digitalen Sphäre: Phishing- oder Hackingangriffe seien fast an der Tagesordnung.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht der Iran auf Platz 178 von 180 Staaten.
Mehr zur Situation von Journalistinnen und Reportern im Iran: www.reporter-ohne-grenzen.de/iran
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