Elizabeth Price. SOUND OF THE BREAK

Elizabeth Price (*1966) macht die Transformationen des Digitalen sichtbar. Die Bewegtbild-Künstlerin komponiert Bild, Text und Sound zu Rauminstallationen, die kulturelle und sozio-politische Begebenheiten neu inszenieren und wenig beachtete Geschichten in den Fokus nehmen. Die Schirn Kunsthalle Frankfurt präsentiert vom 23. März bis 29. Mai 2023 eine große Einzelausstellung der Turner-Preisträgerin mit neuen und erstmals in Deutschland gezeigten Werken. Den Bewegtbild-Arbeiten von Elizabeth Price liegt eine konzeptuelle Arbeitsweise zugrunde. Jedes ihrer Videos basiert auf akribischer Recherche, auf der umfassenden Sichtung von Archiven und Materialsammlungen. Aus Kunstgegenständen und Dokumenten von historischen Ereignissen entwickelt Price im Zuge ihrer digitalen Aneignung neue Erzählungen. Anfangs mit PowerPoint, heute mit einem professionellen Videobearbeitungsprogramm, erstellt die Künstlerin Bewegtbild-Filme, die Fotografien, Archivmaterialien, Dokumente, Text, Grafik, Animation und Sound zu neuen Zusammenhängen verbinden. Eine wesentliche Rolle spielt das Klangerlebnis im Raum. Über die akustische Atmosphäre eines technisch-synthetischen Voice-Overs entsteht die sicht- und hörbare Erzählung. Ein wiederkehrendes Thema ist die durch die Digitalisierung veränderte, hierarchische Arbeitswelt, insbesondere die Zunahme von Informationsarbeit, Bürotätigkeit und Verwaltung. Prices Videos werfen Fragen zu Macht, Geschlecht, Wert und Sprache auf und verorten sie im geteilten Raum von Technologie und Kultur. Die Schirn zeigt zwei raumgreifende Installationen mit je zwei korrespondierenden Videoarbeiten: A RESTORATION (2016) und FELT TIP (2018) sowie UNDERFOOT (2022) und NIGHT OF THE WORLD (2023). Zudem sind vier Videovorträge zu sehen, die Einblicke in den Arbeitsprozess der Künstlerin geben.

Die Ausstellung „Elizabeth Price. SOUND OF THE BREAK“ wird durch den Verein der Freunde der Schirn Kunsthalle e.V. gefördert mit zusätzlicher Unterstützung von British Council.

Dr. Sebastian Baden, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt, betont: „Elizabeth Prices künstlerische Arbeit richtet den Blick auf das Kleingedruckte des Informationszeitalters. Mit ihren aufwendigen Bewegtbild-Filmen hinterfragt die Künstlerin die Logik der linearen Erzählung sowie tradierte Ordnungs- und Bewertungssysteme von Arbeit, Geschlecht, Macht und gesellschaftlicher Sichtbarkeit. Price geht es um die Relektüre von Daten, die Beobachtung von Randnotizen und Sekundärinformation. Durch ihr spezifisches Verfahren einer digitalen Dekonstruktion und Neuerzählung ermöglichen ihre Videos vielstimmige neue Perspektiven auf gesellschaftliche Strukturen.“

Matthias Ulrich, Kurator der Ausstellung, über die Künstlerin: „Ihre Video- oder besser Bewegtbild-Arbeiten formt Elizabeth Price zu vielschichtigen Erzählarchitekturen. Diese fügt sie aus zahlreichen – akustischen wie visuellen – Einzelstimmen und aus unterschiedlichen Quellen zusammen. Aufnehmen, Arrangieren und neu Zusammenstellen: Es ist der Prozess der Digitalisierung, der kennzeichnend für ihre Arbeit ist. Besonders Sound spielt für die Künstlerin, wie der Titel der Ausstellung bereits ankündigt, eine zentrale Rolle. Sie setzt damit Markierungen in ihrer Kunst, um Veränderungen, Entscheidungen und Konsequenzen sowohl in formaler wie auch politischer Hinsicht zu betonen.“

DIE WERKE DER AUSSTELLUNG IM ÜBERBLICK

Die Schirn präsentiert vier Videoarbeiten von Elizabeth Price, die in zwei raumgreifenden Installationen jeweils gegenüber inszeniert sind.

Das Video A RESTORATION (2-Kanal-Video, 2016, 19 Min., in Auftrag gegeben von der Contemporary Art Society für das Ashmolean Museum, Oxford) entwickelte Price auf Basis der Bildarchive des Ashmolean und des Pitt Rivers Museum in Oxford. Im Fokus stehen Fotografien, Zeichnungen und Gemälde, die der Archäologe und erste Direktor des Ashmolean Museum, Sir Arthur Evans, während seiner Restaurierung der bronzezeitlichen Stadt Knossos auf der Insel Kreta anfertigte oder in Auftrag gab. Anhand dieser digitalisierten Dokumente erzählt Price die Geschichte aus der Sicht der Administration. Sie entwickelt einen Chor digitaler Arbeiterinnen und Arbeiter, der mit einer einzigen kombinierten synthetischen Erzählstimme anhand der digitalen Artefakte durch Evans’ Projekt führt und auf satirische Weise die Restaurierung der antiken Stadt aus einer anderen Perspektive neu rekonstruiert. Der Titel der Schirn-Ausstellung nimmt Bezug auf das Zerbrechen einen Glaskelches am Ende des Videos – ein Bruch, der einen Moment des Übergangs markiert.

FELT TIP (2-Kanal-Video, 2018, 10 Min., in Auftrag gegeben von Film and Video Umbrella, Nottingham Contemporary und The Walker Art Centre, Minneapolis) geht von einer Sammlung von Herrenkrawatten der 1970er- und 1980er-Jahre aus, die in ihren Designs die Bildlichkeit von Computernetzwerken, Schnittstellen und Speicherchips aufnehmen. Es werden verschiedene Bezüge hergestellt: zur Informationstechnologie, die den Büroarbeitsplatz revolutionierte, oder zur gemeinsamen technischen und durch fortwirkend hierarchische Strukturen geprägten Geschichte von gewebten Textilien und Computertechnik. Price weitet die Geschichte der Datenspeicherung auch auf eine imaginäre Zukunft aus: Administratorinnen und Administratoren eines Unternehmens beschreiben, wie Milliarden von Bytes an Dokumenten und Daten in die Zellen ihrer Fingerspitzen eingespeist werden, um sie in ihrer DNA zu speichern. Währenddessen werden Fragen der Exekutive, Autorenschaft, der digitalen Einschreibung und der mündlich überlieferten Geschichte diskutiert.

UNDERFOOT (2-Kanal-Video, 2022, 14 Min., in Auftrag gegeben von der Hunterian Gallery und Panel, Glasgow) spielt in den weitläufigen Lesesälen der Mitchell Library in Glasgow, einer der größten Leihbibliotheken Europas. Die Grundlage für die Erzählung bilden Fotografien, die kurz vor der Eröffnung im Jahr 1981 entstanden sind. Sie dokumentieren die Architektur und Inneneinrichtung des spätmodernen Gebäudes. Zwei namenlose Personen führen anhand der Bilder durch das noch leere Gebäude. Der Rundgang konzentriert sich mit zunehmender Intensität auf Materialien wie die Hartholzfurniere und dekorativen Teppiche, mit denen die Lesesäle ausgekleidet sind, um die Akustik zu dämpfen. Beschrieben werden das geometrisch-moderne Interieur der Bibliothek sowie gotische Vorbilder. Der zweite Teil der Arbeit gibt Einblicke in eine in der Bibliothek vorhandene Sammlung von Blumenmustern für Spulenwebstühle.

Mit NIGHT OF THE WORLD (1-Kanal-Video, 2023, 20 Min.) zeigt die Schirn eine eigens für die Ausstellung aktualisierte Version des Videos WEST HINDER (2012, in Auftrag gegeben von Film London). Sie widmet sich einem Schiff namens Tricolor, das im Dezember 2002 in einem West Hinder genannten Gebiet des Ärmelkanals zwischen den Britischen Inseln und dem europäischen Festland sank. Geschildert wird eine Fantasieerzählung, in der die Schiffsladung von 2896 Luxusautos eine Art Bewusstsein erlangt. Deren „intelligente Fahrzeugsteuerungssysteme“ entwickeln eine Sprache aus Benutzerhandbüchern und Pressemitteilungen. Als ein Chor synthetischer Stimmen wenden die Fahrzeuge sich mittels bewegter Grafiken auf dem Bildschirm an die Betrachterinnen und Betrachter. Sie stellen Kartenmaterial zur Verfügung oder wählen den musikalischen Soundtrack aus. In der letzten Phase des Videos mündet die Erzählung schließlich in eine lyrische Form.

Zwischen den beiden Videoinstallationsräumen sind in der Schirn zudem vier Videovorträge zu sehen, die Price während der Lockdown-Maßnahmen der Covid-19-Pandemie erarbeitete. Diese werden in der Schirn erstmals in einer Ausstellung gezeigt und ermöglichen eine tiefgehende Auseinandersetzung mit den Methoden und Motiven der Künstlerin.

In THE CHORUS AND THEIR MEMORY (DER CHOR UND SEIN GEDÄCHTNIS, 2020, 23 Min.) konzentriert sich Price vor allem auf ihre Arbeit FELT TIP (2019), in der sie die komplexen Produktionsprozesse und die soziale Geschichte von Textilien analysiert. Insbesondere geht sie auf eine Reihe von Krawatten ein, die anstelle eines historischen, institutionellen Wappens mit dem Bild eines Computerchips verziert zu sein scheinen, und thematisiert unterschiedliche Vorstellungen von kulturellem Gedächtnis.

A GOTHIC CHOIR: the total work (EIN GOTISCHER CHOR: das Gesamtwerk, 2021, 16 Min.) ist der erste von drei Vorträgen, in denen Price die Bedeutung der mittelalterlichen Architekturform des gotischen Chors für die Entwicklung ihrer eigenen Ausdruckssprache in der Bewegtbild-Kunst untersucht. Polyphonie und der dramatische Chor sind wiederkehrende Themen etwa in Prices Verwendung von Erzählungen, die von mehreren Stimmen vorgetragen werden. Oft verkörpern sie unterschiedliche archivarische und technische Quellen. Sie sind die Grundlage für die Entwicklung einer heterogenen audiovisuellen Komposition.

In dem Vortrag A GOTHIC CHOIR: plans and elevations (EIN GOTISCHER CHOR: Grundrisse und Aufrisse, 2021, 17 Min.) untersucht Price die Ähnlichkeiten der architektonischen Form des gotischen Chors mit anderen Architekturen der Verwaltung, Kultur und Politik. Darüber hinaus setzt Price den Chor mit Systemen der Wissensorganisation wie Bibliotheken oder Museen in Beziehung. Ein besonderer Fokus liegt auf ihrer Videoarbeit A RESTORATION und den dieser Arbeit zugrunde liegenden digitalen Beständen historischer Fotografien und Dokumente. Price erläutert ihre Methoden, mit denen sie die riesigen Mengen solchen Materials neu ordnet.

Im letzten Vortrag der Reihe A GOTHIC CHOIR: song and danse (EIN GOTISCHER CHOR: Gesang und Tanz, 2021, 18 Min.) befasst sich Price mit den Wiederbelebungen der Gotik und ihrem nachhaltigen Einfluss auf die Vorstellungen von verkörperter Performance und Stimme bis hin zur Audiotechnologie.

Elizabeth Price, geboren 1966 in Bradford, Yorkshire, studierte am Royal College of Art, London und an der Leeds University. Heute lebt und arbeitet sie in London. Ihre Arbeiten waren international in wichtigen Gruppenausstellungen zu sehen. Einzelausstellungen fanden zuletzt u. a. bei Artangel, London, in der Tate Britain, London, im Chicago Institute of Art, der Julia-Stoschek-Stiftung, Düsseldorf, der Index-Galerie, Stockholm, dem Musée d’art Contemporain, Montreal, dem Centro de Arte Dos de Mayo, Madrid, der Gallery of Modern Art, Glasgow sowie der Hunterian Gallery Glasgow und Panel, Edinburgh statt. Price wurde mehrfach ausgezeichnet, u. a. 2012 mit dem Turner Prize und 2013 mit dem Contemporary Art Society Annual Award. Sie ist derzeit als Professorin für Film und Fotografie an der School of Art der Kingston University, UK tätig.

KATALOG Elizabeth Price. SOUND OF THE BREAK, herausgegeben von Matthias Ulrich, mit Beiträgen von Elizabeth Price, Matthias Ulrich und Blake Williams sowie einem Vorwort des Direktors der Schirn Kunsthalle Frankfurt Sebastian Baden, deutsch-englische Ausgabe, 288 Seiten, ca. 220 Abbildungen, 16 x 21 cm, Softcover, Mousse Publishing, ISBN 978-8-8674-9570-2, 24 € (Schirn), 30 € (Buchhandel)

ARTIST TALK Am Dienstag, den 16. Mai 2023, um 19.30 Uhr sprechen Elizabeth Price und Schirn Kurator Matthias über die Werke und Konzeption der Ausstellung. Eintritt frei, Teilnehmerzahl begrenzt, Reservierung im Onlineshop unter schirn.de/shop, Resttickets an der Schirn Kasse am Veranstaltungstag ­ORT SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT, Römerberg, 60311 Frankfurt am Main DAUER
23. März – 29. Mai 2023 INFORMATION www.schirn.de E-MAIL welcome@schirn.de TELEFON +49.69.29 98 82-0 TICKETS im Onlineshop der Schirn und an der Schirn Kasse EINTRITT 10 €, ermäßigt 8 €, freier Eintritt für Kinder unter 8 Jahren FÜHRUNGEN BUCHEN Individuelle Führungen für Gruppen sind ab sofort buchbar unter fuehrungen@schirn.de INFORMATIONEN ZUM BESUCH Alle Informationen zum Besuch unter www.schirn.de/besuch/faq KURATOR Matthias Ulrich, Schirn Kunsthalle Frankfurt KURATORISCHE ASSISTENZ Marie Oucherif GEFÖRDERT DURCH Verein der Freunde der Schirn Kunsthalle e.V. ZUSÄTZLICHE UNTERSTÜTZUNG British Council TECHNIKPARTNER Samsung Electronics ­HASHTAGS #PRICE #SCHIRN FACEBOOK, TWITTER, YOUTUBE, INSTAGRAM, PINTEREST, SCHIRN MAGAZIN www.schirn.de/magazin SCHIRN MAGAZIN NEWS ausgewählte Artikel, Filme und Podcasts direkt als Nachricht empfangen, abonnieren unter www.schirn.de/magazin/news ­

Firmenkontakt und Herausgeber der Meldung:

Schirn Kunsthalle Frankfurt
Römerberg
60311 Frankfurt am Main
Telefon: +49 (69) 299882-0
Telefax: +49 (69) 299882-40
http://www.schirn-kunsthalle.de

Ansprechpartner:
JULIA BASTIAN
PRESSEREFERENTIN
Telefon: +49 (69) 299882-148
Fax: +49 (69) 299882-240
E-Mail: PRESSE@SCHIRN.DE
Johanna Pulz
Telefon: +49 (69) 299882-0
E-Mail: johanna.pulz@schirn.de
Für die oben stehende Pressemitteilung ist allein der jeweils angegebene Herausgeber (siehe Firmenkontakt oben) verantwortlich. Dieser ist in der Regel auch Urheber des Pressetextes, sowie der angehängten Bild-, Ton-, Video-, Medien- und Informationsmaterialien. Die United News Network GmbH übernimmt keine Haftung für die Korrektheit oder Vollständigkeit der dargestellten Meldung. Auch bei Übertragungsfehlern oder anderen Störungen haftet sie nur im Fall von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit. Die Nutzung von hier archivierten Informationen zur Eigeninformation und redaktionellen Weiterverarbeitung ist in der Regel kostenfrei. Bitte klären Sie vor einer Weiterverwendung urheberrechtliche Fragen mit dem angegebenen Herausgeber. Eine systematische Speicherung dieser Daten sowie die Verwendung auch von Teilen dieses Datenbankwerks sind nur mit schriftlicher Genehmigung durch die United News Network GmbH gestattet.

counterpixel