Vom Glück der Nachahmung

Ein freudiges Wiedersehen gibt es zurzeit in der Münchener Galerie Wittenbrink mit den PortraitPhotographien von Elisabeth Brockmann aus ihrem Zyklus „Glück“.

Der ist 2014 entstanden, als ortsspezifische Installation großformatiger Leuchtkästen für die Stadt Friedberg bei Augsburg. Jetzt endlich hat sich die Künstlerin dazu durchringen können, eine handlichere Version einiger dieser Bilder zu produzieren schließlich waren sie ursprünglich bis zu sechs Meter hoch, was für die Anbringung im Glockenstuhl eines Kirchturms ein angemessenes Format ist, aber bei den meisten Menschen nur schlecht ins Wohnzimmer passt.

Das ändert natürlich ihren Charakter, genauso wie ihre Verwandlung von Leuchtkästen in „normale“ gerahmte Fotografien, hat aber den unschätzbaren Vorteil, daß man sie auch außerhalb von Friedberg wird betrachten können und vor allem: sie aus nächster Nähe studieren.

Was wir hier zu sehen bekommen, sind keine Porträts im herkömmlichen Sinne, sondern Gesichter von skulpturalen, geschnitzten und bemalten Heiligenfiguren aus Mittelalter und Barock.

Dafür hatte die Künstlerin seinerzeit die Kirchen und Museen Friedbergs durchstreift und festgehalten, was ihre Aufmerksamkeit besonders fesselte: Madonnen ohne Kind, Jesusknaben ohne Mutter, dornengekrönte Schmerzensmänner, Engel und Heilige.

Brockmanns Kunst besteht nun darin, die Gesichter – und nur sie- jeweils so zu fotografieren, daß wir uns von den Figuren unmittelbar berührt, ja angeblickt fühlen. Und sie uns zudem durch ihre Ausschnitthaftigkeit möglichst nahezubringen.

Die extreme Nahsicht macht uns zugleich auf die zum Teil zerkratzten und zersplitterten Oberflächen des Holzes und auf die verblichenen, abblätternden oder vollkommen zerstörten Teile der farbigen Fassung aufmerksam. Seltsamerweise empfindet man das weniger als eine restauratorischkunsthistorische Bestandsaufnahme, denn als wirkliche Verletzungen der abgebildeten Figuren, so präsent, gegenwärtig und menschlich scheinen sie uns.

Durch ihre vollständige Dekontextualisierung werden diese sakralen Bilder zwar profaniert, aber zugleich in einer Unmittelbarkeit als Gegenüber sichtbar, die sie (erst oder wieder) zu Zeitgenossen von uns macht.

Insofern ist dieses Wiedersehen höchst erfreulich, zeigt es doch, dass diese ausdrucksstarken Gesichter auch im kleineren Format nichts von ihrer enormen Faszination verlieren.

Aber noch ein anderes Déjà-Vu schleicht sich ins Bewusstsein des kunstsinnigen Betrachters: Da gab es doch gerade Ausstellungen zu sehen, die ein ganz ähnliches Thema verfolgten? Richtig, Gemälde von Karin Kneffel, die erst in Rom, dann in Düsseldorf präsentiert wurden (und demnächst in Kleve zu sehen sein werden).

Die renommierte Malerin zeigte dort großformatige Leinwände, auf denen sie Madonnenfiguren mit Kind, allesamt mittelalterliche, farbig gefasste Holzskulpturen, abmalte und in extremer Ausschnitthaftigkeit als Bildpaar mit jeweils einem Mutter- und einem Kinderbild präsentierte.

Dass Kneffels Doppelkopf-Strategie aufgegangen wäre, kann man nicht unbedingt behaupten, bei der Umsetzung vom bemalten Holz in bemalte Leinwand, von 3D zu 2D, und der damit einhergehenden Monumentalisierung wurden die Gesichter demonstrativ ausdruckslos- und vor allem, nun ja, etwas flach.

Sowohl die motivische große Nähe zu Brockmanns Bildern als auch wesentliche Transformationsschritte, wie die Beschränkung auf die Gesichter, die Ausschnitthaftigkeit und die Maßstabsveränderung, würde man gerne für zufällig halten. Schließlich haben sich Künstler schon immer aus dem Fundus der Kunstgeschichte bedient, mal mehr, mal minder offensichtlich.

Wenn sich aber Malerinnen bei ihren Kolleginnen bedienen, ist das durchaus etwas anderes. Da hilft es auch nichts, wenn Kneffels Galerist vollmundig verkündet, ihre aktuellen Bilder seien „unprecedented“, also „beispiellos“ oder „noch nie dagewesen“. Das Gegenteil ist der Fall. Von Brockmanns „Glück“ gibt es einen Katalog, den auch Frau Kneffel nachweislich kennt.

Wir brauchen uns hier aber zum Glück nicht mit Reproduktionen oder zweiten Aufgüssen zu begnügen, wir können uns ganz direkt mit den sehr viel gelungeneren Umsetzungen mittelalterlicher Bildschnitzerei in zeitgenössische Kunst befassen:

Bei Elisabeth Brockmann gibt es jede Menge spannender bildlicher Details zu entdecken: Ein pausbäckiges Kindersicht, wie ein Stück ziemlich grober, naiver Malerei (nicht verstaubt, aber doch näher an einem Puppenkopf als an einer Modersohn-Becker). Die schon etwas feiner gezogenen, klugen, fast hochmütigen Gesichtszüge eines schmalen Frauengesichts mit sehr rot geschminkten Lippen. Das seltsam alterslose Lockenhaupt mit den rundlichen Gesichtsformen und einem deutlichen Hang zum Doppelkinn, dessen Augen so unterschiedlich blicken, dass sich nicht sagen lässt, schaut es erstaunt, mitleidig, traurig oder liebevoll?

Letztlich ist es auch hier, bei der bildkünstlerischen Variation eines Themas, wie in der Musik mit der Kunst des Coverns: Es gibt schlechte, überflüssige und langweilige Coverversionen, bei denen man sich nach kürzester Zeit heftig nach dem Original sehnt. Und es gibt die guten, die ihrem Vorbild gänzlich Neues abgewinnen oder Wesentliches hinzufügen. Dann schlägt das Nachahmen um in schöpferisches Tun und im besten Fall: in großes Glück.

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