Der Ausbau der Offshore-Windenergie in Deutschland scheitert ohne zügige Investitionen in den Ausbau der deutschen Seehäfen

Bis zu 200 Hektar zusätzliche schwerlastfähige Flächen könnte allein für den Neubau von Offshore-Windparks bis 2029 in den deutschen Seehäfen gebraucht werden – das entspricht der Fläche eines Parkplatzes mit 260.000 PKWs oder 270 Fußballfeldern. Investitionen im Milliardenbereich werden in den kommenden Jahren gebraucht. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse der Stiftung OFFSHORE-WINENERGIE, die heute veröffentlicht wurde.

Gemeinsam mit den Erneuerbaren Energien & Offshore-Wind Organisationen WAB (WAB e.V.), Erneuerbaren Energien Cluster Hamburg (Förderverein EEHH e.V.) & WindEnergy Network (WEN) – sieht die Stiftung dringenden politischen Handlungsbedarf. Die Investitionen dürften nicht am Föderalismus scheitern, andernfalls drohe ein gesamtheitliches Scheitern der Offshore-Ausbau-Ambitionen insbesondere bis 2030, sind sich die vier Organisationen einig.

„Die Seehäfen sind die zentralen Drehkreuze der Offshore-Windenergie.“, so Stiftungsgeschäftsführerin Karina Würtz. „Ob als Basishäfen für den Bau und den späteren Rückbau der Windparks, als Servicehäfen für den Betrieb und auch die Wartung, als Lagerplatz oder als Produktionsstandort – sie nehmen vielfältige Funktionen im Bereich der Offshore-Windenergie ein. Die sich durch das neue Ausbautempo immer stärker abzeichnende europäische Konkurrenz um Hafenflächen und auch die schwierige Finanzierungslage stellen ein unkalkulierbares Risiko für das Erreichen der Offshore-Wind-Ausbauziele dar. Dabei erwarten wir bereits in den kommenden 6-7 Jahren mit 22 GW Nettozubau eine Spitze des Ausbaus der Windenergie auf See. Da der Bau einer neuen schwerlastfähigen Fläche nebst Kaianlage bis zu 7 Jahren benötigt, droht uns die Zeit davon zu laufen.“

„Der Großteil des deutschen Zubaus in den kommenden zwei Jahrzehnten wird in der Nordsee stattfinden. Die deutschen Hafenstandorte von Niedersachsen über Bremerhaven bis Schleswig-Holstein bieten hervorragende Bedingungen, um die vielfältigen Bedarfe der Offshore-Windenergie zu decken und gleichzeitig vom Offshore-Boom zu profitieren. In den zurückliegenden Jahren haben wir durch politische Entscheidung viel regionale Wertschöpfung und eine glänzende Ausgangslage im internationalen Wettbewerb verspielt. Jetzt braucht es politische Verlässlichkeit und Investitionen“, betont Jens Assheuer, Vorstandsvorsitzender der WAB.

Dazu ergänzt Andree Iffländer, Vorstandsvorsitzender des WindEnergy Networks: „Auch im Ostseeraum mit einem Offshore-Potential von 93 GW sind die Ziele in den Bereichen Offshore-Wind und Grünem Wasserstoff hochgradig ambitioniert. Deshalb sind die Bedarfe an Infrastruktur und neuen Flächen für die Industrieansiedlung direkt in unseren Seehäfen immens. Von Polen über die baltischen Länder bis nach Skandinavien sind Offshore-Windparks, Energieinseln und Energie-Infrastrukturprojekte in Planung. Die deutschen Ostseehäfen werden somit nicht nur für den nationalen Ausbau gebraucht, sondern könnten und sollten auch in substanziellem Maße vom europäischen Offshore-Boom profitieren.“

„Es braucht hier eine noch stärkere Verbindung von energie- und industriepolitischem Denken“, schließt Sebastian Averdung, Vorsitzender des EEHH e.V., ab. „Die politischen Zielsetzungen für den Ausbau der Erneuerbaren, der Offshore-Windenergie und im Bereich Grünem Wasserstoff sind ambitioniert und absolut notwendig. Sie sind aber letztlich wenig wert, wenn es uns nicht gelingt, die industriepolitischen Weichen zu stellen, um sie auch tatsächlich umzusetzen.“

Wenn Wunsch und Wirklichkeit aufeinanderprallen: Ambitionierte Ausbauziele treffen auf massiven Mangel an Hafenkapazitäten

30 GW Offshore-Windenergie in Deutschland bis 2030, 70 GW bis 2045 – fast 30% der heimischen Bruttostromproduktion – und dies bis zu 370 km vor der deutschen Küste. Was energiepolitisch bereits beeindruckende Zahlen & Ziele sind, wird umso beeindruckender, wenn diese in die benötigten Industrie- und Infrastrukturkapazitäten übersetzt werden müssen. 62 GW Nettozubau mit der Leistung von 62 mittleren Atomkraftwerken. 5.000-7.000 neue Offshore-Windenergieanlagen in deutscher Nord- und Ostsee, mit 300 m so hoch wie der Eiffelturm, 2.500 Tonnen schwere Stahlfundamente, über 100 m lange Hightech-Rotorblätter, Windparks vernetzt über zehntausende Kilometer Tiefseekabel, 20.000 Tonnen schwere Konverterstationen als Knotenpunkte eines europäischen Offshore-Netzes. Pläne zur Offshore-Produktion von Grünem Wasserstoff – dies alles gebaut, betrieben & zurückgebaut mit einer Flotte von High-Tech-Spezialschiffen.

In Europa sollen 2050 300 GW Offshore-Wind Realität sein.

„Dies braucht Fabriken, Werften, Fachkräfte, Rohmaterialien & spezialisierte Infrastruktur in massivem Ausmaß – und es braucht vor allem die Seehäfen & Seehafenflächen“, betont Iffländer.

Während sich die niederländischen und dänischen Häfen Eemshaven und Esbjerg in den vergangenen Jahren stark auf den Offshore-Wind-Bereich ausgerichtet und den deutschen Häfen auch große Marktanteile abgenommen haben, haben sich letztere verstärkt anderen Geschäftsfeldern zugewandt. Mit Blick auf die gesamteuropäischen Ausbauziele ist ein weiter verstärkter Zugriff auf die Häfen jedoch stark zu erwarten. Die Kapazitäten werden aber auch bei den ausländischen Häfen voraussichtlich ab 2027 nicht mehr ausreichen, um den deutschen Ausbau ausreichend unterstützen zu können. „Deutschland braucht Europa, aber wir können uns nicht darauf verlassen, dass Europa unsere Offshore-Energiewende rettet, wenn wir industriepolitisch nicht die richtigen Maßnahmen ergreifen“, ist man gemeinsam überzeugt.

Bei fehlender Verfügbarkeit ausländischer Hafenkapazität könnten so bis 2029 bis zu 200 ha schwerlastfähiger Hafenflächen für den deutschen Offshore-Wind-Ausbau fehlen, zeigt die Stiftung in ihrer Analyse. 2027 immerhin bereits 50 Hektar.

1 Mrd. Euro für 100 ha schwerlastfähige Hafenfläche & Kaikante – diese Investitionen braucht es jetzt

Neben der Frage, ob überhaupt ausreichend Flächen für die Offshore-Windenergie in den Seehäfen verfügbar gemacht werden können, hängt vieles wie so oft am Geld – und im Falle der Häfen an den föderalen Zuständigkeiten. Für die Häfen sind qua Grundgesetz die Länder verantwortlich, diese können und wollen jedoch nicht die ganze Last tragen. Da der Ausbau der Windenergie auf See Bundesangelegenheit ist, stellt sich zwangsläufig die Frage nach einem stärkeren Engagement des Bundes.

Die Stiftung OFFSHORE-WINDENERGIE geht in ihren Berechnungen auf Basis der Einschätzungen der Agentur für Wirtschaftsförderung von Cuxhaven von bis zu 1 Mrd. Euro für 100 ha schwerlastfähige Hafenfläche und Kaikante aus. Hinterland- und weitere Infrastrukturbedarfe (wie Investitionen in Fahrrinnen) nicht eingerechnet. 

Für die notwendige Re-Fokussierung der deutschen Häfen auf den Offshore-Wind-Bereich benötigen diese nun umgehend finanzielle Zusagen und Planungssicherheit. „Die Bedarfe der Offshore-Windenergie stellen eine industriepolitische Jahrhundertchance für die maritime Wirtschaft dar“, meint Assheuer, „die dürfen wir nicht verpassen.“

Zudem stehen die verzögerten Genehmigungsverfahren einer schnellen Umsetzung von Maßnahmen im Infrastrukurbereich massiv im Wege. „In Kombination mit den langen Bauzeiten von bis zu sieben Jahren läuft uns hier wahrhaftig die Zeit davon,“ so der WAB-Vorsitzende ergänzend.

Konkrete Maßnahmen jetzt einleiten – „No-Regret“-Fläche & Geld aus den Offshore-Wind-Auktionen 2024 für den Hafenausbau

„Insbesondere der Ausbau-Peak 2029/30 stellt investitionsplanerisch eine große Herausforderung dar,“ so Karina Würtz. „In diesen Jahren soll bis zu dreimal so viel zugebaut werden wie in den Jahren danach. Vor diesem Hintergrund haben wir eine „No-Regret“-Fläche von 60 – 120 Hektar definiert, von der wir ausgehen, dass diese in jedem Fall dauerhaft gebraucht wird. Die Kosten liegen hier bei 600 Mio.-1,2 Mrd. Euro,“ führt Würtz weiter aus.

„Dabei gilt es nochmals zu betonen, dass es sich hier um die minimalen Langfristbedarfe für den Neubau von Offshore-Windparks handelt. Weitere Bedarfe im Bereich Erneuerbare Energien, beispielsweise einer entstehenden Wasserstoffwirtschaft oder der Onshore-Windenergie, die einen Großteil ihrer Komponenten über die Seehäfen bezieht, sind noch nicht enthalten. Insofern möchten wir auch betonen, dass wir eine ganzheitliche Betrachtung für wichtig halten“, sagt Sebastian Averdung des EEHH e.V..

Eine Möglichkeit wäre aufgrund der Dringlichkeit eine Bereitstellung über den Staatshaushalt, ggf. in Kombination mit einem Public-Private-Partnership-Ansatz, der auch die Unternehmen mit einbezieht.

Insbesondere nach den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts der vergangenen Wochen und der daraus resultierenden Haushaltsschieflage für 2024 gibt es eine weitere elegante Lösung, die ohne zusätzliche Belastung für Bund und Länder wäre: Eine Anpassung des Verteilschlüssels für die Erlöse aus den Auktionen für nicht-voruntersuchte Offshore-Wind-Flächen. Nach aktueller Gesetzlagen gehen 90% der Einnahmen, die der Staat über die Auktionen von Offshore-Wind-Flächen in Nord- und Ostsee einnimmt, in die zukünftige Senkung der Offshore-Stromkosten für Wirtschaft und Verbraucher, 5% in den Naturschutz, weitere 5% in die nachhaltige Fischerei. In den Auktionen 2023 zahlten die Unternehmen insgesamt 12,7 Mrd. Euro. 5% bedeuteten hier also 670 Mio. Euro.

Sollten 2024 wieder ähnliche Summen erzielt werden, würden bereits 5% den zusätzlichen Flächenbedarf bis 2027 gegenfinanzieren können, 10% gar die ganzen 120 Hektar. „Eine bessere Chance gibt es nicht“, unterstreichen die vier Organisationen. „Hier ist jetzt das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefragt, Anpassungen am Windenergie auf See-Gesetz vorzunehmen. In der Verteilung den 90%-Anteil der Senkung der Offshore-Netzumlage zu senken und stattdessen in den Offshore-Erneuerbaren-Ausbau zu investieren, wäre ein eleganter, schneller und zielgerichteter Weg. Andernfalls muss erklärt werden, woher die Finanzierung alternativ kommen soll.“

Über das Cluster Erneuerbare Energien Hamburg

Das Cluster Erneuerbare Energien Hamburg ist ein Branchennetzwerk aus rund 260 Unternehmen, Hochschulen und Institutionen der Erneuerbare-Energien-Branche sowie der Wasserstoffwirtschaft in der Metropolregion Hamburg. Das Cluster bietet Akteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik eine gemeinsame Plattform. Zu seinen Mitgliedern zählen Anlagenhersteller, Projektentwickler, Energieversorger, Netzbetreiber, Forschungseinrichtungen, Logistiker, Finanzdienstleiter sowie Rechtsanwaltskanzleien. Inhaltliche Themenbereiche der Clusterarbeit sind On- und Offshore-Wind, Solar, Erneuerbare Wärme, Sektorenkopplung und grüner Wasserstoff“

Über die WAB

Die WAB ist bundesweiter Ansprechpartner für die Offshore-Windindustrie, das Onshore-Netzwerk im Nordwesten und fördert die Produktion von grünem Wasserstoff aus Windstrom. Dem Verein gehören rund 250 kleinere und größere Unternehmen sowie Institute aus allen Bereichen der Windindustrie, der maritimen Industrie, der entstehenden Wasserstoffwirtschaft sowie der Forschung an. Wir vertreten über unsere Mitglieder rund 160.000 Fachkräfte. Der Windindustrie- und Wasserstoffverband WAB e.V. setzt sich als Stimme der Wertschöpfungskette für Klimaschutz mit „grüner“ Energie als Elektronen und Moleküle ein.

Über der WEN

Der WindEnergy Network e.V. (WEN) ist das führende Unternehmensnetzwerk für Windenergie in der Nordost-Region mit mehr als 100 Mitgliedsunternehmen und bundesweiter Ansprechpartner für Industrie, Gesellschaft und Politik. Das seit 2002 bestehende Industrienetzwerk versteht sich als Plattform der gesamten Wertschöpfungskette der Branche. Thematische Schwerpunkte bilden die Windenergie an Land und auf See, maritime Technologien in Verbindung mit Offshore-Wind sowie die Entwicklung von grünem Wasserstoff.

Über Stiftung Offshore-Windenergie

Die Stiftung OFFSHORE-WINDENERGIE wurde 2005 zur Förderung des Umwelt- und Klimaschutzes durch eine verbesserte Erforschung und Entwicklung der Windenergie auf See gegründet. Sie hat sich als ein überparteilicher, überregionaler und sektorenübergreifender Thinktank zur Entwicklung der Offshore-Windenergie in Deutschland und Europa etabliert. Die Stiftung ist Kommunikationsplattform für Akteure aus Politik, Wirtschaft und Forschung, dient dem Wissensaustausch und versteht sich als Ideengeber und Multiplikator. Gleichzeitig bündelt sie die verschiedenen Interessen und vertritt sie gegenüber Politik, Öffentlichkeit, Wirtschaft und Wissenschaft. Im Stiftungskuratorium sind sowohl wichtige Bundes- und Landministerien für den Offshore-Wind-Bereich wie auch Betreiber, Hersteller, Übertragungsnetzbetreiber, Zulieferer, Banken und Versicherungen vertreten.

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