Tempo 30 hat Gründe

Die Klage eines Autofahrers gegen das Tempo-30-Gebot in der Leipziger Straße in Berlin-Mitte ist gescheitert. Die Geschwindigkeitsbegrenzung, die 2019 aufgrund schlechter Luftqualität eingeführt wurde, bleibt relevant und überwiegt die Nachteile einzelner Kfz-Fahrer*innen. Es spreche vieles dafür, so das Gericht, dass erst die Geschwindigkeitsbegrenzung zur Einhaltung des Schadstoff-Grenzwertes geführt habe. „Es ist essentiell wichtig, die negativen gesundheitlichen Folgen des Autoverkehrs mehr in den Fokus zu rücken,” so Changing Cities.

Im Jahr 2021 hat die WHO nach mehr als 15 Jahren strengere Grenzwerte für die Luftqualität vorgelegt: Vor allem die Grenzwerte für Feinstaub (PM 2,5 und PM 10) und Stickstoffoxid (NO2) wurden deutlich gesenkt. Die EU hinkt dabei hoffnungslos hinterher – erst ab 2030 will sie strengere Maßnahmen gegen die Luftverschmutzung ergreifen. Luftverschmutzung ist die größte Umweltgefahr für die Gesundheit in Deutschland, die jährlich für den vorzeitigen Tod von 400.000 Menschen in Europa verantwortlich ist. So schreibt z.B. der Berliner Luftreinhalteplan von Juli 2019 einen Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid (NO2) pro Kubikmeter vor – die WHO empfiehlt 15 Mikrogramm als Grenzwert. Die Grundlage des Urteils zur Leipziger Straße sind natürlich die EU-, nicht die WHO-Werte. 

„Autofahren wird in Deutschland immer mit individueller Freiheit gleichgesetzt. Die individuelle Gesundheit und die damit verbundenen enormen Kosten spielen dabei kaum eine Rolle. Feinstaub vom Reifenabrieb und Stickstoffoxid sind lebensgefährliche Substanzen, die wir tagtäglich einatmen – bis wir vorzeitig sterben. Die Kosten des Kfz-Verkehrs für die Allgemeinheit betragen pro Kilometer rund elf Cent – mehr als dreimal so viel wie die des Bahnverkehrs. 2021 lag die Gesamtfahrleistung der Pkw bei 582,4 Milliarden Kilometer – das sind umgerechnet 64 Milliarden Euro pro Jahr, die wir als Steuerzahler*innen mittragen. Und dabei ist der Güterverkehr noch gar nicht mitgezählt…!“, sagt Ragnhild Sørensen von Changing Cities. 

1.011 Städte und Gemeinden in Deutschland plädieren inzwischen dafür, dass Kommunen z.B. Tempo 30 anordnen können sollen, wenn sie es für notwendig erachten – aus Gründen der Verkehrssicherheit, aber auch, um die Gesundheit der Bürger*innen und das Klima zu schützen. Am 24. November stoppte der Bundesrat eine Reform des Straßenverkehrsgesetzes, das erstmalig eine Priorisierung von Klimaschutz, Gesundheit und städtebaulicher Entwicklung bei der kommunalen Mobilitätsplanung ermöglicht hätte – Betonung auf „hätte“. 

Das Urteil zur Leipziger Straße bekräftigt dagegen, dass die Verkehrswende notwendig ist, um die Gesundheit aller Bürger*innen zu schützen – und die bestehende Rechtslage kann sogar ihren Teil dazu beitragen. 

Weiterführende Links:
Luft-Grenzwerte-Vergleich EU und WHO: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/4640/dokumente/eu_vs_who2023_de_0.pdf 
Informationen zum Urteil: https://www.berlin.de/gerichte/verwaltungsgericht/presse/pressemitteilungen/2023/pressemitteilung.1395534.php 
Changing Cities e.V.: https://changing-cities.org

Über den Changing Cities e.V.

Wir fördern zivilgesellschaftliches Engagement für lebenswertere Städte. Das bislang größte Projekt von Changing Cities e.V. ist der Volksentscheid Fahrrad in Berlin, mit dem es 2016 gelang, die Berliner Verkehrspolitik zu drehen und das bundesweit erste Mobilitätsgesetz anzustoßen. Changing Cities e.V. unterstützt landes- und bundesweit Bürger*inneninitiativen, die sich im Bereich nachhaltige Verkehrswende und lebenswerte Städte einsetzen, mit Kampagnenwissen oder stößt solche Initiativen an. Changing Cities ist als gemeinnützig anerkannt.

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