Interview mit Markus Lichtenstein, CEO und Founder der Weinhandlung Smith & Smith in Zürich und Bern

In zehn Jahren hat sich die Weinhandlung Smith & Smith vom Newcomer zu einem Schmelztiegel für neue Wein-Ideen entwickelt, fest verankert in der urbanen und jungen Schweizer Wein- und Gastroszene. Die treibende Kraft hinter dem noch immer quirligen Projekt ist der 54-jährige Markus Lichtenstein. VINUM sprach mit ihm über Wein, Kombucha, Gott und die Welt. Seine Message: «Hip sein ist cool, aber die Wahrheit liegt auch 2023 immer noch im Glas!»

Niemand macht so schräge Weinbeschreibungen wie Smith & Smith. Da verwandelt sich eine Elsässer Cuvée schon mal in ein Orakel von reibungsvoller Ruhe, oder ein Kombucha fermented wird zum fliegenden Fisch, «sehr geil, sehr Pfeil». Was nehmt ihr denn so für Substanzen, bevor ihr solche Kommentare schreibt?

Es ist eher nüchterne Präzisionsarbeit. Die Person, die unsere Produkte beschreibt, arbeitet hauptberuflich am Soziologischen Institut der Universität Zürich. Wir beschreiben unsere Weine gerne mittels Assoziationen. Ich bin sehr zufrieden mit diesen Texten, vor allem, weil sie dir immer mal wieder ein inneres Lächeln entlocken. Und seien wir doch ehrlich, 90 Prozent der heutigen Weinbeschreibungen sind völliger Bullshit. Formulierungen wie «feinziselierte Säure» machen mich wahnsinnig. Darunter können sich 97 Prozent der Weinliebhaber absolut gar nichts vorstellen.

«Wenn ich von feinziselierter Säure lese, macht mich das wahnsinnig. Es braucht eine andere Sprache!»

Ihr habt den Ruf einer etwas anderen Szene-Weinhandlung. Seht ihr euch als Kämpfer gegen Langeweile im Business?

Die Weinszene in der Schweiz und besonders in Zürich ist, was das Angebot anbelangt, nicht langweilig, sondern hoch entwickelt. Im Verhältnis zur Bevölkerung gibt es wohl keine Stadt in der Welt, die ein besseres Weinangebot hat. Und ich meine damit nicht nur den Fachhandel. Auch die Grossverteiler haben zugelegt.

Trotzdem lasst ihr euch gerne in Städten wie Barcelona oder Kopenhagen inspirieren…

Wir sind halt extreme Foodies. Und im Zusammenspiel von Food und Wein, zunehmend aber auch mit anderen Getränken, auch solchen mit sehr wenig oder keinem Alkohol, ist man in diesen Städten vielleicht etwas weiter.

Auch die Naturweinszene, für euch ja auch wichtig, ist dort stärker ausgeprägt.

Ich denke, wenn du Naturweine suchst, hast du in Zürich keine Probleme, im Handel nicht und auch nicht in der Gastronomie. Die Szene in Zürich ist vielleicht nicht so laut wie in anderen europäischen Metropolen. Aber das ist eigentlich sehr sympathisch. Man rennt hier nicht jedem neuen Furz hinterher. Ich lande manchmal im Netz auf neuen, supercoolen Weinverkaufsplattformen und denke, «Woooow, da sind echte Hipster am Werk!», und wenn du näher hinschaust, dann merkst du, dass alles nur oberflächlich ist, nur der Auftritt ist cool, die Weine sind es nicht. Solche Mogelpackungen gibt es hierzulande glücklicherweise nicht.

Wir zahlen in der Schweiz auch nicht jeden Preis, oder?

Nein, auch diesbezüglich sind wir schweizerisch vernünftig. In London oder New York hast du immer mal wieder das Gefühl, dass du eine Weinkarte vor dir hast, die für Millionäre oder Milliardäre gemacht worden ist. Diesen Eindruck hast du hier selten. Letzte Woche habe ich im «Palace Hotel» in St. Moritz einen Campari Orange getrunken. Als die Rechnung kam, sah ich, dass der dort 30 Franken kostet. Ich bin fast vom Stuhl gefallen…

Und die ganze Low- oder Zero-Alkohol-Sache, wird das echt ein Trend?

Ja, definitiv, da bin ich mir sicher. Genuss, gerade auch in der Gastronomie, wird immer offener. Die Zeiten, wo du fast schon zwangsläufig immer ein Glas Wein neben deinem Teller stehen hast, neigen sich ihrem Ende zu. Die Ama Brewery in San Sebastián beispielsweise wurde von zwei Ex-Köchen des Sternerestaurants «Mugaritz» gegründet. Sie produzieren nun kleine Batches von Pét-Nat-Tees, von cremig bis herb. Das sind perfekte, animierende Essensbegleiter, und sie haben gerade mal 1,5 Volumenprozent Alkohol. Da bist du auch nach zwei Flaschen noch glasklar im Kopf.

Dann wird sich die Flüssiggenuss-Szene in weitere Segmente spalten…

Der Schweizer Markt war diesbezüglich schon in der Vergangenheit sehr fragmentiert. Allein schon beim Wein. Versuche mal, in einem Hotelrestaurant im Engadin spanische Weine zu platzieren. Die trinken dort nur Italiener, Franzosen und Schweizer. In Zürich hingegen sind Spanier im Trend.

Neben den Low-Alkohol-Geschichten laufen lustigerweise auch die Spirituosen sehr gut, oder?

Ja, man muss sich mal vergegenwärtigen, was da überhaupt passiert ist. Als wir jung waren, gab’s nur Gordon’s Gin und Schweppes Indian Tonic. Und jetzt kommt alle fünf Minuten ein neuer Gin oder ein neues Tonic Water auf den Markt. Das ist doch fantastisch, oder?

Ihr habt bis jetzt Stores in Zürich und Bern. Ticken die Kunden ähnlich oder völlig anders?

Auch hier bin ich überrascht, wie gross die Unterschiede sind. Die Berner sind extrem stolz auf ihre eigenen Produkte. Die trinken ihren Ingwerer – ein handgemachter Bio-Likör aus Ingwer und Äpfeln –, ihren Matte Dry Gin oder ihre Lola Cola. In unserem Shop im Warenhaus Loeb kommen von den Top-Ten-Produkten wahrscheinlich deren fünf aus Bern und Umgebung.In Zürich ist das alles viel offener. Die trinken auch einen Single Malt aus Namibia, wenn du einen hast.

Viele jüngere Geniesserinnen und Geniesser in Zürich oder Bern ordnen Smith & Smith tendenziell in die Naturweinecke ein. Entspricht das eurem Selbstverständnis?

Wir haben vor ein paar Jahren die Naturweinhandlung Vinatur übernommen und dann diesen Namen zu einem Label umfunktioniert. Es wurden 21 Punkte definiert, von «Low Intervention » im An- und Ausbau über Biodiversität, Nachhaltigkeit bis zu «Extra Efforts». Wenn ein Wein 17 von diesen 21 Punkten erfüllt, dann geben wir ihm das Vinatur-Label. Gegenwärtig sind rund 300 der insgesamt über 1000 Weine in unserem Sortiment damit ausgezeichnet.

Und was ist mit den 700 anderen?

Wir unterteilen unser Sortiment in fünf Segmente. Neben «Vinatur» sind das «Selfmade», unsere Eigenbrands, die «Special Guests», das sind Brandys, Cidre, Kombucha und alles andere, was eben nicht Wein ist, dann die «Promis», das sind weltbekannte Winzerpersönlichkeiten, und «Fine Wines», unser Handel mit Grossformaten und raren Jahrgängen.

Was trinkst du eigentlich selber gerade so am liebsten?

Ich habe echt Mühe, mich da festzulegen. Ich bin offen für alles, was gut ist. Momentan trinke ich viel weisse Burgunder, soweit ich mir das leisten kann. Aber kürzlich landete auch malein Scarecrow, einer dieser Icon-Cabernets aus dem Napa Valley, im Glas. Da hat’s bei mir klick gemacht. Wenn du meistens animierend Frisches im Glas hast, tut ein bisschen Power zwischendurch richtig gut.

Ihr habt Smith & Smith vor zehn Jahren gegründet. Ein paar Jahre vorher kam der Agenten-Thriller «Mr. & Mrs. Smith» mit Angelina Jolie und Brad Pitt in die Kinos. Sind all diese Smiths irgendwie miteinander verwandt?

Haha, nein, oder ja, unsere Smiths sind genauso Fiktion wie jene in diesem Film. Klassische Weinhandlungen tragen normalerweise den oder die Namen der Gründer und Inhaber. Auch unser Projekt hatte zwei Mitbegründer, aber es war von Anfang an auch eine Netzwerksache. Wir kamen darum zum Schluss, dass es besser ist, einen fiktiven Namen zu nehmen. Denn wenn du richtige Namen nimmst und die betreffenden Personen später aussteigen, hast du ein Problem.

Von wo kommt dein Interesse für Wein. Bist du familiär irgendwie vorbelastet?

Mein Vater war Swissair-Pilot und genoss Wein massvoll. Das Erweckungserlebnis hatte ich nach meiner Kochausbildung. Als ich die Hotelfachschule besuchte, fuhr ich mit meiner Freundin mal nach Bordeaux, klingelte abends bei Château Haut-Brion und sagte: «Ich bin Markus Lichtenstein aus der Schweiz und möchte Ihren Wein probieren.» Die Frau schaute mich verdutzt an, aber später durften wir dann doch den 1988er und den 1989er aus dem Fass probieren. Und sie organisierte für uns sogar noch Besuche bei anderen Châteaux.

Aber es dauerte danach doch noch ein paar Jährchen, bis du ganz beim Wein gelandet bist, oder?

Ja, zuerst ging ich in die Gastronomie. Zehn Jahre lang lebte ich mit meiner damaligen Familie in Valencia und habe dort einen Club betrieben.Dann kam ich nach Zürich zurück und betrieb eine Bar mit grossem Zigarren-Angebot. Im Jahr 2000 wurde bei mir ein Hirntumor diagnostiziert. Ich war drei Monate lang komplett gelähmt, gewann dann aber allmählich meine Mobilität zurück. Gastronomie ging aber nicht mehr. Da hat mir Baur au Lac Vins eine Stelle angeboten. Das war der Anfang meines neuen Lebens im Weinhandel.

Inzwischen bist du seit zehn Jahren die treibende Kraft hinter Smith & Smith. In dieser Funktion musst du doch ein Szenegänger sein, der jeden Abend um die Häuser zieht und Kontakte pflegt?

Die Leute denken lustigerweise immer, ich sei ein Freak oder ein Chaot. Klar habe ich es gerne mal lustig, aber an drei, vier Abenden pro Woche trinke ich gar nichts und gehe um 21 Uhr ins Bett. Dafür stehe ich morgens um vier Uhr auf, mache Yoga und lese. Um sechs Uhr in der Früh bin ich meistens schon im Büro. Und eigentlich bin ich ein Zahlenmensch. Ich bin stolz darauf, dass ich auch bei siebenstelligen Kostenblöcken meist auf tausend Franken genau weiss, wo wir gerade stehen.

Du bist jetzt 54 Jahre alt, was wirst du in elf Jahren machen, wenn du das Pensionsalter erreichst?

Momentan habe ich immer noch grosse Lust, Smith & Smith weiterzuentwickeln. Wir haben da noch schätzungsweise tausend Ideen. Aber irgendwann mal sehe ich mich als Betreiber eines kleinen Önotourismus-Projektes oder eines kleinen Hotels irgendwo am Mittelmeer, in Südfrankreich oder Spanien, entspannt barfuss am Meer spazieren.

Danke dir für dieses Gespräch.

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